Manchmal wird ein richtiges Argument vom denkbar unglaubwürdigsten Sprecher vorgebracht. Die Diskussion um den Mindestlohn in Deutschland und die Proteste des privaten deutschen Post-Dienstleisters Pin Group samt zugehörigem Stellenabbau sind ein Paradebeispiel dafür.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In Wahrheit kommt der gesetzliche Mindestlohn dem Axel-Springer-Verlag, der die Mehrheit an der Pin Group hält, mehr als gelegen. Denn Springer-Chef Mathias Döpfner kann damit eigene Fehler kaschieren.
Erst vor wenigen Monaten hat Springer seinen Anteil an Pin von rund 24 auf jetzt 64 Prozent aufgestockt und dafür sehr viel Geld bezahlt - 510 Millionen Euro, um genau zu sein. Schon bald war klar, dass dieses Geld kaum je wieder eingespielt werden kann. Dafür agiert die Gruppe, die aus mehreren Zukäufen zusammengewürfelt wurde, nach wie vor zu inhomogen. Bis jetzt hat sie es nicht geschafft, ein zuverlässiges und effizientes Verteilnetz aufzubauen. Unter anderem deshalb ist der Notverkauf an die TNT-Gruppe, die aus der niederländischen Staatspost hervorgegangen ist und die in Deutschland mit einer Tochter antritt, um der Deutschen Post das Leben schwer zu machen, gescheitert. Die Pin Group hat also schon seit Monaten erhebliche wirtschaftliche Probleme. Nun kann Döpfner so tun, als wäre das alles nur die Schuld des Mindestlohns.
Keine brillante Idee
Allerdings bedeutet die Tatsache, dass der Mindestlohn nicht die Wurzel der Probleme der Pin Group ist, nicht automatisch, dass seine Einführung eine brillante Idee wäre. Denn er hat nicht nur Auswirkungen auf die Pin Group, sondern auch auf andere, gut aufgestellte Post-Anbieter wie TNT oder Hermes.
Sie werden nun davon absehen, einen eigenen Brief-Universaldienst aufzubauen und anzubieten. Damit bleibt die Deutsche Post weiterhin der einzige universelle Briefzusteller, obwohl mit Anfang nächsten Jahres in Deutschland auf dem Papier das Briefmonopol fällt. Mit diesem Monopol und einer Befreiung von der Mehrwertsteuer (beides genießt die Deutsche Post derzeit im Gegensatz zur Konkurrenz) kann man freilich höhere Löhne bezahlen als Mitbewerber. Der Mindestlohn hebt somit über die Hintertür die Post-Liberalisierung wieder auf.
Klar, einige Postbedienstete werden nun höhere Löhne erhalten. Sehr viel mehr werden allerdings arbeitslos werden oder bleiben. Und die Konsumenten müssen sich damit abfinden, höhere Porto-Kosten zu bezahlen.
Siehe
Wirtschaft