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Führungsdilemma

Von Thomas Seifert

Politik

Beim Salzburger Trilog diskutieren Politiker und Manager über "Leadership" zwischen Führung und Aktionismus.


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Salzburg. Die Festungsstadt ist während der sommerlichen Festspieltage der bevorzugte Treffpunkt der Eliten in diesem Teil Europas. Das Wetter ist herrlich, das Festspielpublikum diskutiert noch immer die diesjährige Interpretation von Ludwig van Beethovens hochpolitischer Oper "Fidelio", in welcher der Maestro den Prinzipien der Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit ein Hohelied singen lässt. "Fidelio"-Dirigent Franz Welser-Möst ist Gast beim diesjährigen, ursprünglich von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel initiierten "Trilog", einer Denkwerkstatt, welche die Bertelsmann-Stiftung jährlich in Salzburg ausrichtet. Frühere und noch aktive Politiker, wie Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, der frühere niederländische Premier Willem Kok, Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, Tunesiens Arbeitsminister Zied Ladhari oder die frühere EU-Kommissarin und jetzige EU-Abgeordnete Viviane Reding sowie Spitzenmanager aus Industrie und Medien diskutieren über das höchst aktuelle Thema "Leadership" - Führung. Wie viel Charisma brauchen Europas Politiker? Und wie sorgt man dafür, dass innovative und vielleicht auch unbequeme Figuren in Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik kommen, um dort Mitarbeiter oder Bürger aus der Komfortzone zu holen? Wie sorgt man dafür, dass nicht nur Stabilitätsbewahrer, sondern wagemutige Entrepreneure an Spitzenjobs kommen?

Die Gütersloher Bertelsmann-Stiftung hat zur Vorbereitung des Treffens in Salzburg die Studie "Auf der Suche nach Leadership" erstellen lassen. Die Studienautoren konstatieren einen wahren Overload an komplexen Krisen - von Bankenrettung, Grexit, Brexit, IS-Terror über Massenflucht aus Nahost und Krieg im Donbass in der Ukraine oder die Turbulenzen an den chinesischen Finanzmärkten. Im Papier wird darauf verwiesen, dass mehr als 80 Prozent der Teilnehmer an der "Survey on the Global Agenda 2014" des World Economic Forum der Ansicht sind, dass heute eine weltweite Führungskrise besteht, die einen Vertrauensverlust in die institutionelle, staatliche und politische Führung widerspiegelt.

Kontroverse Debatte

Die Diskussion zwischen den Vertretern aus Politik und Wirtschaft werden durchaus kontroversiell geführt: Selbst die Frage, ob eine effiziente Führungspersönlichkeit Charisma braucht, ist umstritten. Das Vertrauen der deutschen Bürgerinnen und Bürger in Kanzlerin Angela Merkel könne wohl nicht auf ihr Charisma zurückzuführen sein, meint ein Teilnehmer (für die Veranstaltung ist vereinbart, dass zwar die Inhalte der Aussagen öffentlich gemacht werden, diese aber nicht namentlich zugeordnet werden sollen - diese nach der britischen Denkfabrik Chatham-House genannten Regeln sollen eine freiere, ungezwungenere Diskussion fördern). Vertrauen basiere eben nicht nur auf Charisma.

Zudem, sagt ein anderer Diskutant, müssten die Parteien der Mitte sich überlegen, wie sie auf die Herausforderung charismatischer Populisten reagieren wollen. Und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in den USA - mit dem Verweis auf die TV-Debatte der republikanischen Kandidaten für die Vorwahlen und den Applaus für Donald Trump. "Der Mann hat sicher Charisma, aber was bringt Charisma ohne moralischen Kompass?" Eine Debatte entspann sich auch darüber, worin die Unterschiede zwischen Management und "Leadership" liegen. "Der fiebrige Blick auf die Quartalszahlen treibt die Akteure in Richtung Management, strategische Führung ist auf diese Weise so gut wie unmöglich", sagt ein ehemaliger Spitzenpolitiker, der heute in Aufsichtsräten sitzt.

Ein Spitzenmanager beklagt wiederum, dass Aufsichtsräte oftmals nicht bereits seien, schwer berechenbare Charaktere in Vorstandspositionen zu berufen: "CEOs - in Deutschland zumindest - sind viel zu oft brave, gehorsame Typen, die viel zu wenig bereit sind, ihre Organisationen zu neuen Ufern zu führen." Da dürfe man sich nicht wundern, dass charismatische Führungsfiguren in neuen Industrien erfolgreich sind und traditionelle Player - etwa im Versandhandel oder in Medien - in Bedrängnis bringen. "Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir da nicht nur mehr Leute in den Top-Jobs haben, die nur den Regeln folgen und ihren Entrepreneur-Geist vergessen."

In der Politik seien die Probleme ähnlich: Europa sei eine zu sehr sicherheitsfanatische Gesellschaft, bei Politikern sei Wagemut am ehesten auf europäischer Ebene möglich. "Sobald Politiker ihre Vision kommunizieren wollen und Risiken eingehen, schreiten sofort die PR-Leute ein."

Die Teilnehmer des Trilog erarbeiteten ein Forderungspapier, in dem sie EU-Institutionen und die europäischen Regierungen unter anderem aufforderten, mehr in Leadership-Training und Trainingsinstitutionen zu investieren. Es gelte auch, Leadership-Dilemmata offen anzusprechen: Erwartungshaltungen und kurzfristige Ziele würden teilweise im Widerstreit mit Langzeitzielen stehen. Bei "Fidelio" gibt es am Ende bei den Salzburger Festspielen ein Happy End. Beim Trilog heißt es wie weiland beim Literarischen Quartett: "Den Vorhang zu und alle Fragen offen."