Bei ihrer letzten Plenarsitzung vor der EU-Wahl votierten die Europamandatare für Abwicklungsregeln für Geldhäuser.
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Brüssel/Straßburg. Die Überwachung der Seeaußengrenzen der EU, ein Verbot für den Einsatz von Riesen-Lkw, Regelungen zur Entsendung von Arbeitern in andere EU-Staaten oder strengere Vorschriften für den Finanzmarkt: Bei ihrer letzten Plenarsitzung vor der EU-Wahl Ende Mai haben die Europaabgeordneten gleich über dutzende Themen zu entscheiden. Fast hundert Voten umfasst der Abstimmungsmarathon in Straßburg, der gestern, Dienstag, begonnen hat und am heutigen Mittwoch seine Fortsetzung findet.
Damit wollen die Parlamentarier zumindest Position beziehen - in der Hoffnung, dass dies auch in der kommenden Legislaturperiode berücksichtigt wird. Denn eine Garantie darauf, dass alle Gesetzesvorhaben weiter verfolgt werden, gibt es keineswegs. So könnte die künftige EU-Kommission bestimmte Entwürfe zurückziehen oder die Pläne ändern. Und auch das nächste Abgeordnetenhaus muss sich nicht unbedingt an die Vorgaben halten, die sich die Vorgänger gewünscht hatten.
Allerdings gab es ebenfalls Vorhaben, die so wichtig erschienen, dass sich weder Kommission, noch Parlament und nicht einmal die Mitgliedstaaten ein Scheitern leisten wollten. Die Einigung auf weite Teile der Bankenunion war solch ein Anliegen - ein Projekt, dessen Tragweite immer wieder mit der Schaffung des gemeinsamen Euro-Raumes verglichen wurde. Trotz der monatelangen Streitereien um die Details waren daher alle Seiten bemüht, noch vor der EU-Wahl zu einer Verständigung zu kommen. Dafür nahmen sie auch so manche nächtliche Sitzung in Kauf. Nach der Einigung im März konnte das EU-Parlament nun den Plänen zustimmen und deren Realisierung einleiten.
Mit breiter Mehrheit votierten die Mandatare für den Aufbau eines europäischen Mechanismus zur Abwicklung maroder Kredithäuser. Ziel ist es, das Geld der Steuerzahler künftig nur noch im Notfall zur Restrukturierung der Unternehmen zu verwenden. Vielmehr sollen zunächst Aktionäre, Gläubiger und vermögende Sparer dafür aufkommen.
Neben der gemeinsamen Aufsicht für die Institute unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) sind die Regeln zur Abwicklung eine weitere Säule der Bankenunion. Der dazu gehörende Hilfsfonds soll innerhalb von acht Jahren mit rund 55 Milliarden Euro aufgefüllt werden. Wie viel die einzelnen Banken in den Topf einzahlen, soll die Kommission in den kommenden Wochen ausrechnen.
Keine Hypo Alpe Adria mehr?
Doch ist es nicht die Brüsseler Behörde, die die Entscheidung über eine Abwicklung treffen wird. Das übernimmt ein fünfköpfiges Exekutiv-Organ. Wenn die Kommission jedoch mit einem Beschluss nicht einverstanden ist, kann sie Einspruch erheben, muss aber die Mitgliedstaaten daran beteiligen. Der Abwicklungsmechanismus soll ab Anfang des kommenden Jahres zu greifen beginnen, nachdem bereits die EZB ihre Kontrollfunktionen übernommen hat. Ein Jahr später soll es mit dem Aufbau des gemeinsamen Fonds losgehen.
Geregelt wird ebenso die Sicherung der Einlagen. Die Geldhäuser müssen künftig 0,8 Prozent der geschützten Einlagen für die nationalen Sicherungstöpfe bereithalten. Geschützt sind jedenfalls Sparkonten mit einer Summe von bis zu 100.000 Euro.
Die österreichischen Abgeordneten zeigten sich nach dem Votum zufrieden - und verwiesen auf den Pleite-Fall Hypo Alpe Adria. So etwas wie dieser werde in Europa ein zweites Mal unmöglich, erklärte der ÖVP-Mandatar und Vizepräsident der Volksvertretung, Othmar Karas. Die Bankenunion sei eine "Versicherungspolizze, dass es eben dazu nicht kommt".
Auch laut der grünen Parlamentarierin Ulrike Lunacek beuge das Projekt der "zu hohen Risikobereitschaft im Finanzsektor" vor, deren Beseitigung die europäischen und insbesondere die österreichischen Steuerzahler bereits Milliarden Euro gekostet habe. Ihre SPÖ-Kollegin Evelyn Regner wies darauf hin, dass bald über marode Banken innerhalb eines Wochenendes entschieden werden kann. Fälle jahrelanger Verschleppung seien dann nicht mehr möglich.
Das sind allerdings nicht die einzigen Entscheidungen, die das EU-Parlament im Bankenbereich gefällt hat. So stimmte es ebenfalls einer hochkomplexen Reform des EU-Finanzmarktes zu, die diesem zu mehr Stabilität und Berechenbarkeit verhelfen soll. Es geht dabei um strengere Vorschriften, die Regner als "Regulierung der Börse" bezeichnet. Damit sollen unter anderem der computergesteuerte Hochfrequenzhandel eingedämmt, die Markttransparenz für außerbörsliche Geschäfte und Derivate erhöht oder die Spekulation mit Nahrungsmitteln gebremst werden. Beim Handel mit Rohstoffen soll es laut Regner künftig Positionslimits geben, um zu starke Ausschläge bei Lebensmittel- und Rohstoffpreisen zu verhindern.
Das streicht ebenfalls Karas hervor: Finanzmarktakteure, die keine direkte Verwendung für ein Produkt nachweisen können, dürfen nur noch eine bestimmte Menge davon halten. "Im Klartext bedeutet das: Unternehmen, die keinen Weizen verarbeiten, dürfen nicht eine ganze Weizenernte aufkaufen."
Recht auf ein Konto
Für die meisten EU-Bürger greifbarer ist jedoch ein Beschluss zur Einrichtung eines Girokontos. Das soll ab 2016 für alle möglich sein - auch wenn sie keinen festen Wohnsitz haben. Das könnte beispielsweise Studenten oder Saisonarbeiter betreffen, aber auch Flüchtlinge oder Obdachlose. Das Basiskonto würde es ermöglichen, europaweit Bargeld abzuheben, Überweisungen per Internet vornehmen oder Daueraufträge zu erteilen.
Damit würden potenzielle Kunden, die von Banken bisher wegen Zahlungsschwäche abgewiesen wurden, einen Rechtsanspruch bekommen - was in Österreich oder Deutschland beispielsweise noch nicht der Fall ist. Nach Angaben aus dem EU-Parlament würden damit an die 30 Millionen Menschen ihre Bankgeschäfte auf diese Weise erledigen können. Die EU-Kommission schätzt die Zahl der EU-Bürger ohne Konto gar auf fast 60 Millionen.
Die Mitgliedstaaten müssen der Regelung zwar noch zustimmen, das gilt aber als ausgemachte Sache. Es gibt nämlich bereits eine grundsätzliche Einigung darauf. Die Länder haben nun zwei Jahre Zeit, die Vorschriften umzusetzen.