Das gesamte Ermittlungsverfahren wird durch einen neuen Kommentar zur Strafprozessordnung abgedeckt.
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Die Grazer Strafrechtsprofessorin Gabriele Schmölzer und der Leitende Staatsanwalt Thomas Mühlbacher bereichern die österreichische Kommentarlandschaft um das von ihnen herausgegebene Werk: Band 1 über das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (§§ 1-209b StPO), der nunmehr in 2. Auflage vorliegt.
Neun Autoren aus der Praxis haben zu diesem Band beigetragen, nämlich der Leiter der Staatsanwaltschaft Klagenfurt, Josef Haißl, der Oberstaatsanwalt bei der OStA Graz, Gunter Kirschenhofer, sowie die Leiterin einer staatsanwaltschaftlichen Gruppe bei der Staatsanwaltschaft Graz, Cornelia Koller. Weiters ebenfalls ein Leiter einer staatsanwaltschaftlichen Gruppe bei der Staatsanwaltschaft Graz, Christian Kroschl, der Oberstaatsanwaltschaft bei der OStA Graz, Erich Leitner, und der Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Karl-Franzens-Universität Graz und nunmehrige Leiter der Staatsanwaltschaft Leoben, Thomas Mühlbacher. Konrad Ohrnhofer, Richter des Oberlandesgerichts Graz, und die Leiterin einer staatsanwaltschaftlichen Gruppe bei der Staatsanwaltschaft Graz, Katharina Tauschmann, sowie der Generalanwalt der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof (ÖGH), Martin Ulrich, gehören der Autorenschaft ebenfalls an.
Bemerkenswert ist, dass die einzelnen Autoren mit einem Konterfei versehen sind und alle aus Graz stammen. Im Vorwort wird der Kommentar als "Praxiskommentar" betitelt. Ich nehme an in Anlehnung an das "Festskriptum" zum 60. Geburtstag von Frau Schmölzer, herausgegeben von Bernd Urban und ebenfalls im Verlag LexisNexis 2021 erschienen. Da dieser Kommentar auch in einer elektronischen Version den Benutzern zugänglich ist, spricht er die neue, junge Generation an und kann die Druckversion knapp halten.
Vor den einzelnen Bestimmungen der Strafprozessordnung findet man die ausgesuchten Verweise auf das Schrifttum.
Mit legendären Kommentaren vergleichbar
Ich denke, dass der Grazer Kommentar mit dem legendären Kommentar von Leukauf/Steininger zum StGB in 4. Auflage verglichen werden kann; beide sind besonders praxisbezogen, kompakt, aber dennoch ausgewogen, sodass sich der Grazer Kommentar auch mit der Ausführlichkeit des Wiener Kommentars und des Linzer Kommentars zur StPO messen kann. Er ist sehr übersichtlich gestaltet, und durch die Zitierweise von Gerichtsentscheidungen mittels Geschäftszahl und Rechtssatznummer ist die weiterführende Verlinkung mit dem kostenfreien Rechtsinformationssystem des Bundes gewährleistet.
Kroschl gelingt es, die Begriffe des § 1 StPO ausgefeilt zu analysieren, indem er die Norm des § 1Abs. 2 StPO in den zwei Stadien, nämlich Ermittlungen zur Konkretisierung des Anfangsverdachts "Verdächtiger", feststellt. Erst, wenn ein konkreter Verdacht gegen bestimmte Personen gegeben ist, führt dies zu Ermittlungen gegen den Beschuldigten.
Prekär ist noch immer das Gebot der Objektivität und der Wahrheitserforschung in § 3 StPO, weil mir durch das Weisungsrecht einer politischen Instanz (Bundesministerin für Justiz) die im Gesetz vorgesehene Objektivität gefährdet erscheint.
Das nach § 4 StPO normierte Legalitätsprinzip ist meines Erachtens durch die Einführung des Opportunitätsprinzips wie im § 18 VbVG (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz), kafkaesk unberechtigter Weise geschwächt worden, weil doch ökonomische Motive nie eine Rolle spielen dürften. Die verfassungsrechtliche Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Gerichtsbarkeit (Art. 90a B-VG) ist realitätsfremd, da die Behörde nach wie vor weisungsgebunden ist.
Die Gründe für die Beiziehung Sachverständiger
In der Rz 3 zu § 126 StPO begründet Kirschenhofer die Beiziehung Sachverständiger durch die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit der Komplexität der Welt und den komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen.
In der Rz 5 zu § 126 StPO manifestiert der Co-Autor, dass Rechtsfragen vom Richter und Staatsanwalt selbst zu lösen sind, in der Praxis wird wohl auf die Judikate und Literatur Bezug genommen. Allerdings in besonders heiklen Fällen sowie, wenn ein Problem noch nicht ausjudiziert ist, wird in der Instanz diskret Rat eingeholt. Ich denke, für die Rechtssicherheit ist dies legitim, und nicht zuletzt unter Bedachtnahme auf die Karriere, also de facto ein gutachtlicher Rat.
Zu den Baustellen der Privatgutachten
In der Rz 12 zu § 126 StPO setzt sich der Mitverfasser mit den Baustellen der Privatgutachten nicht überzeugend auseinander. Ich denke zum einen, dass die Bedeutung der Privatgutachten im allgemeinen maßlos überschätzt wird, andererseits, dass der Gesetzgeber bisher keine einheitliche Tendenz erkennen lässt, weil er von meines Erachtens berechtigtem Misstrauen zur Objektivität, Seriosität und Kompetenz der Sachverständigen ausgeht; je häufiger ein Staatsanwalt, Richter (und Rechtsanwalt) zum Teil aus Bequemlichkeit denselben Sachverständigen beauftragt, umso stärker wird das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis.
Der Gesetzgeber könnte Fehlentwicklungen effektiv durch möglichst klar formulierte Gesetzesreformen begegnen. Die verstärkte Zulassung wie in Deutschland wäre ein wichtiger Ausgleichsfaktor für den Beschuldigten bei der Waffengleichheit gemäß Art. 6 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention).
Für mich sehr schlüssig definiert Kirschenhofer in den Rz 58 ff zu § 126 StPO die Befangenheit von Sachverständigen und betont das Recht des Beschuldigten, gemäß § 126 Abs. 5 StPO die Bestellung eines Sachverständigen zu beantragen. Sofern der Beschuldigte diese Möglichkeit nicht implementiert, stellt dies einen Verzicht auf ein Grundrecht dar, der einer Ablehnung des Sachverständigen wegen struktureller Befangenheit entgegensteht. Der vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) und EMGR gewährleistete Grundrechtsschutz darf nicht unterlaufen werden. In diesem Kontext stelle ich zur Diskussion, ob nicht doch der Gesetzgeber eine Urteilsbeschwerde gegen den OGH an den VfGH zulassen sollte.
Ich weiß mich mit Richard Soyer einig, dass der Hauptverband der Gerichtssachverständigen seine Themenführerschaft stärker zum Ausdruck bringen sollte. Auch, dass die Fachgebiete in der Kunst diesbezüglich einen neuen Standard benötigen sowie eine korrekte Transparenz der Honorierung eines Privatgutachters.
Das gegenständliche Werk ergänzt das vorhandene Spektrum, weil es sich gegenüber umfangreicheren Kommentierungen auf das in der Praxis Wesentliche beschränkt, sehr wohl aber weit über die Darstellungen in Kurzkommentaren hinausgeht. Es hat sich bereits als strafprozessuales Standardwerk sehr geeignet erwiesen.
Mit großem Interesse kann man daher auf den avisierten 2. Band warten.
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