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Fünf Fragen zum Thema Flüchtlinge

Von Thomas Seifert

Politik

Ein Nachdenk-Versuch über Versäumnisse, Fehler und Missverständnisse.


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Wien. In Europas Flüchtlingskrise bleiben eine Reihe von elementaren Fragen unbeantwortet: Und auch wenn es keine befriedigenden Antworten auf viele dieser Punkte gibt, so steckt hinter diesen Fragen durchaus einiges, das einer eingehenderen Diskussion lohnt. Ein Versuch von fünf Fragen.

Die gängige Methode der kontrafaktischen Geschichtsschreibung ist es, zu spekulieren, was geschehen wäre, wenn bestimmte historische Ereignisse nicht oder anders eingetroffen wären. Nehmen wir also an, der Irak-Krieg 2003 hätte nicht stattgefunden: Hätte der Arabische Frühling trotzdem stattgefunden? Wäre Diktator Saddam Hussein 2011 - so wie der libysche Diktator Muammar Gaddafi oder der ägyptische Machthaber Hosni Mubarak - nicht dennoch gestürzt worden? Was sich in jedem Fall sagen lässt, ist, dass die Betreiber des Irak-Kriegs von 2003 - die USA, Großbritannien, Australien und Polen - eine besondere Verantwortung für das Chaos in der Region tragen. Die USA haben 2015 nur rund 2000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, für 2015 verspricht Washington, die Zahl auf 10.000 zu erhöhen. Das ist freilich weniger, als in diesen Tagen in nur einer Woche über die Grenze kommen. Großbritannien hat angeboten, 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, in Australien ist von rund 12.000 die Rede, wobei Australiens Premier Tony Abott betont hat, Australien würde vor allem Flüchtlinge akzeptieren, die "verfolgten Minderheiten" angehören.

Die Europäische Union hat von Anfang an anderen Mächten die Initiative überlassen: So mischen im irakisch/syrischen Regionalkonflikt die Türkei, Saudi-Arabien, Katar sowie die USA mit, die verschiedene Rebellengruppen, die gegen die Armee des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kämpfen, unterstützen. Der Iran und Russland unterstützen hingegen Assads Armee. Ernst zu nehmende Initiativen, Frieden in der Region herzustellen, gibt es bis dato nicht, nicht zuletzt, weil die Konfliktparteien für eine Verhandlungslösung nicht bereit sind. Ernüchterndes Fazit: Die vernünftigste Antwort auf die Flüchtlingskrise, nämlich die "Fluchtursachen bekämpfen" scheint weiter unrealistisch.

Die Nachbarländer Syriens - Türkei (1,7 Millionen Flüchtlinge), Jordanien (673.000 Flüchtlinge), Libanon (1,1 Millionen Flüchtlinge), Irak (249.500 Flüchtlinge) - benötigen rund 4,53 Milliarden Dollar zur notdürftigsten Versorgung der Flüchtlinge. Bisher hat das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen nur rund 1,68 Milliarden Dollar erhalten - die Versorgungslage der Flüchtlinge ist daher äußerst angespannt. In Syrien selbst sind 12,2 Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen, davon leben 4,6 Millionen Menschen in Regionen, die für die Helfer aufgrund der Kampfhandlungen so gut wie unzugänglich sind. 7,6 Millionen Menschen in Syrien gelten als Flüchtlinge im eigenen Land. Die Europäische Union und die einzelnen EU-Länder haben seit dem Beginn der Krise im Jahr 2011 rund 3,9 Milliarden Euro für die humanitäre Hilfe in der Region zur Verfügung gestellt, für 2015 wird rund eine Milliarde Euro für die Bewältigung der Krise in Syrien und dem Irak bereitgestellt.

Die Visegrád-Staatengruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) wehrten sich von Anfang an gegen eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage. Sie lehnen EU-Verteilungsquoten ab. Diejenigen Länder, die 1989 den Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs so euphorisch bejubelten, wollen jetzt alles dafür tun, um in Europa wieder neue Grenzen hochzuziehen. Ungarn stellt gerade den Bau eines 175 Kilometer langen Zauns an der Grenze zu Serbien fertig. Man dürfe Flüchtlinge nicht "an den gedeckten Tisch" einladen, sagte Ungarns Premier Viktor Orbán. Und Tschechiens Präsident Milo Zeman teilte dem Prager Boulevardblatt "Blesk" seine Meinung über Flüchtlinge mit: "Niemand hat euch hierher eingeladen." Dabei stehen die Visegrád-Staaten vor einer existenziellen Krise: Bevölkerungsschwund und Überalterung. In der Tschechischen Republik kommen statistisch 1,46 Kinder auf eine Frau, in Ungarn 1,34 und in Polen 1,3 (zum Vergleich Deutschland: 1,6). Ein Drittel der polnischen Bevölkerung wird im Jahr 2060 über 65 Jahre alt sein. Dazu gesellt sich eine massive Abwanderung in die reicheren EU-Staaten. Ohne Zuwanderung droht den Visegrád-Staaten ein wahrer Überalterungs-Schock. Die Visegrád-Staaten haben soeben eine Chance verpasst, das Ruder herumzureißen.

In Deutschland war die Zivilgesellschaft (genauso wie in Österreich) bemüht, die Flüchtlinge zu unterstützen. Dazu kommt, dass die deutsche Bundesregierung optimistisch ist, die syrischen Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterzubringen. Von Daimler-Chef Dieter Zetsche ist der Satz in Bezug auf junge, gut ausgebildete und motivierte Flüchtlinge überliefert: "Genau solche Leute suchen wir." So soll der deutsche Arbeitsmarkt rasch für Flüchtlinge geöffnet werden. Der Image-Bonus für Deutschland in aller Welt ist beachtlich, Merkel hat in der Frage Führungsqualität bewiesen.

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Warum lieben die
Flüchtlinge Merkel?

Warum helfen die Betreiber des Irak-Kriegs nicht?

Wo bleibt die
UN-Friedensinitiative?

Warum wird die Flüchtlingshilfe nicht erhöht?

Warum sperren sich

Visegrád-Staaten so?