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Fünf Jahre für ein Wahlrecht

Von Christian Rösner

Politik

"Kein Meisterstück" ist das Wahlrecht für Georg Niedermühlbichler (SPÖ) und David Ellensohn (G).


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Wien. Donnerstag wird im Gemeinderat die Wahlrechtsreform beschlossen, auf die sich Rot-Grün nach jahrelangem Streiten geeinigt haben.

An der Wahlrechtsreform haben sich die Grünen die vergangenen fünf Jahre die Zähne ausgebissen - dabei hätte sie bereits 2012 abgeschlossen sein sollen: In der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats nach der Wahl im Jahr 2010 beschloss Rot-Grün die "Schaffung eines modernen Verhältniswahlrechts" - und zwar bis spätestens Ende 2012. Als Bürgermeister Michael Häupl dann Ende 2012 die Öffentlichkeit wissen ließ, dass man ein Wahlrecht erst bei einer Wahl benötigt und nicht früher, schien klar, dass sich die SPÖ vom mehrheitsfördernden Wahlrecht nicht so leicht trennen würde. Es folgte ein jahrelanger Streit, der kurz vor der Wahl sogar fast zu einem Koalitionsbruch geführt hätte, weil die SPÖ den grünen Gemeinderat Senol Akklic abgeworben hat, um in Sachen Wahlrechtsreform nicht überstimmt zu werden. Und angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens mit der FPÖ wollte man sich so kurz vor der Wahl den mehrheitsfördernden Faktor um keinen Preis noch wegnehmen lassen.

In einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklären nun die beiden Chefverhandler SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und Grünen-Klubchef David Ellensohn, warum das alles so schwierig gewesen ist.

"Wiener Zeitung": Nach fünf Jahren langem Herumstreiten wird jetzt im Gemeinderat die Wahlrechtsreform beschlossen. Warum hat das so lange gedauert - beziehungsweise warum ist es jetzt plötzlich so schnell gegangen?

David Ellensohn: Wir sind für Rot-Grün II verantwortlich und da ist tatsächlich alles sehr schnell gegangen. Nicht zuletzt, weil sich wohl keine Arbeitsgruppe für die nächsten fünf Jahre zu diesem Thema mehr gefunden hat.

Heißt das, Sie schieben die jahrelangen Streitereien auf das ursprüngliche Verhandlungsteam?

Georg Niedermühlbichler: Natürlich nicht. Wir brauchen da jetzt auch nicht groß herumreden und nach einem Schuldigen suchen. Wir wissen, dass das kein Meisterstück war. Wir haben hart verhandelt und gerungen, uns dennoch vor der Wahl nicht auf diesen Faktor einigen können. Aber wir haben auch gesagt, dass uns dieses Thema nicht noch weitere fünf Jahre begleiten soll. Was jetzt herauskommen ist, ist ein klassischer Kompromiss, was die Mandatsverteilung betrifft. Über alles andere waren wir uns ohnehin schon lange einig.

Aber war dieser eine Punkt so wichtig, dass man sogar einen Koalitionsbruch riskiert hat?

Ellensohn: Überhaupt nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich diesen Punkt sofort gegen ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige auf allen Ebenen und ein Wahlrecht für EU-Bürger auf Landtagsebene eintauschen. Man muss sich das einmal vorstellen: 350.000 in Wien lebende Menschen sind nicht wahlberechtigt. Ich finde das demokratiepolitisch höchst bedenklich. Aber das kann leider nur auf Bundesebene geklärt werden.

Niedermühlbichler: Für mich wäre es auch am wichtigsten, dass die Menschen, die hier leben, hier arbeiten, hier ihren Lebensmittelpunkt haben, Zugang zum wichtigsten Instrument der Demokratie haben. Wir werden hier auf Bundesebene weiterhin entsprechende Anträge einbringen. Hier blockiert ja die ÖVP, wie auch bei den Proporzprivilegien.

Aber was war nun der ausschlaggebende Punkt für die plötzliche Einigung in Sachen Mehrheitsfaktor - warum hat man sich die Streitereien angetan, wenn es dann am Ende doch so schnell geht?

Ellensohn: Es ist tatsächlich schade, dass wir nicht zusammengekommen sind. Denn es ist unangenehm, wenn man zusammenarbeitet und ständig steht etwas dazwischen. Abgesehen davon, dass die FPÖ jetzt keinen Vizebürgermeister hätte, wenn unser jetzt erzielter Kompromiss schon vor der Wahl Gültigkeit gehabt hätte. Aber natürlich könnte man jetzt noch viel im Nachhinein analysieren und interpretieren. Ich schaue aber lieber nach vorne, denn es gibt viel zu tun. Und das Wahlrecht war nur ein Punkt von vielen.

Niedermühlbichler: Es war uns einfach wichtig, das Ganze nicht in die nächste Legislaturperiode mitzuschleppen, um uns dann von Interview zu Interview hanteln zu müssen und ständig unser Verhalten zu rechtfertigen.

Beobachter meinen, es hätte sich nur um ein Machtspiel vor der Wahl gehandelt.

Niedermühlbichler: Die Grundeinigung, dass wir bis 2020 den mehrheitsfördernden Faktor von 0,5 haben, gibt es schon lange. Und es ist natürlich vor einer Wahl alles viel heikler, und sensibler, als wenn die Wahl bereits geschlagen ist. Es ist auch so, dass wir bestimmte Positionen auch gegenüber unserer Partei zu vertreten haben und Mehrheiten brauchen. Hat die Partei das Gefühl, es wurde schlecht verhandelt, dann führt das zu einer schlechten Stimmung und das will natürlich niemand vor einer Wahl.

Für schlechte Stimmung hat es vor allem bei den Grünen gesorgt.

Ellensohn: Es war kein Meisterstück für beide Parteien. Aber wie bereits gesagt, es liegt viel Arbeit vor uns, wir müssen uns bald um zwei Millionen Menschen in der Stadt kümmern. Und wer Zeit übrig hat, der möge die Vergangenheit analysieren - auch das ist ein abendfüllendes Programm.

Wie sieht es eigentlich mit dem Lobautunnel aus - wird das der Stolperstein für Rot-Grün II werden? Immerhin interpretieren die Grünen das Koalitionsübereinkommen über die sechste Donauquerung als Ende des Tunnelprojektes, während die SPÖ meint, die Beschreibung würde genau auf die Tunnellösung zutreffen.

Niedermühlbichler: Da haben wir den Vorteil, dass wir keinen Gemeinderatsbeschluss mehr dafür brauchen. Wir haben auf jeden Fall im Regierungsübereinkommen ein klares Bekenntnis zu einer sechsten Donauquerung. Und es steht drinnen, dass Alternativen noch geprüft werden sollen. Und wenn es keine vernünftige Alternative gibt, dann gehen wir davon aus, dass der Lobautunnel kommt. Es wird aber sicher niemand daherkommen und Nein sagen, wenn es eine Variante gibt, welche die gleiche Entlastung bringt und gleichzeitig billiger ist. Jetzt prüft einmal der Bauträger, die Asfinag, es gibt noch einen Einspruch beim Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung, der noch abgehandelt werden muss und dann sehen wir weiter.

Also kein zweiter mehrheitsfördernder Wahlrechtsfaktor in dieser Legislaturperiode?

Niedermühlbichler: Wir brauchen dafür keine Arbeitsgruppen, wir brauchen keine Alternativen vorschlagen, wir brauchen keinen Beschluss mehr und daher sehe ich keine zweite Wahlrechtsgeschichte auf uns zukommen.

Sehen das die Grünen genauso?

Ellensohn: Da waren ja ein paar Konjunktive drinnen. Die Frage ist natürlich auch: Glaubt man, dass es Alternativen geben wird oder nicht. Und je eher man das glaubt, desto eher kann man sagen, der Lobautunnel wird nicht notwendig sein. Das Allerwichtigste ist aber, dass das Naturschutzgebiet Lobau ökologisch intakt bleibt. Das muss funktionieren. Das mit der sechsten Donauquerung ist wiederum ebenso wichtig, weil wir auf zwei Millionen Menschen anwachsen - und es werden nicht alle, die dazu kommen, ausschließlich mit U-Bahn, Straßenbahn, Bus, Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen.

Die Grünen wollten die Querung aber noch nie in der Form eines Tunnels unter der Lobau.

Ellensohn: : Lassen Sie uns das große Bild betrachten: Gerade haben sich 195 Staaten in Paris getroffen und gesagt: Nehmen wir den Klimawandel jetzt ernst oder nicht? Und geeinigt hat man sich darauf, ihn ernst zu nehmen. Da applaudierte nicht nur ganz Europa, sondern die ganze Welt. Jetzt müssen sich vor diesem Hintergrund alle Großprojekte weltweit der Frage stellen: Sind sie notwendig oder nicht? Denn Umdenken bedeutet, dass im Bereich Bauen und Mobilität immer der ökologische Schaden mitgedacht werden muss. Umweltzerstörung kostet am Ende jede Menge Geld und vor allem Lebensgrundlagen.

Was heißt das jetzt vom großen Bild auf den auch nicht so kleinen Lobautunnel übersetzt?

Ellensohn: Dass man sehr ernsthaft die Alternativen prüfen sollte - und schauen, ob sie nicht schlauer wären. Denn es ist wie gesagt die Frage, ob man an Alternativen glauben will oder nicht.

Eine Glaubensfrage also?

Niedermühlbichler: Nein, es gibt immer Alternativen, die Frage ist vielmehr, was ist vernünftiger. Wir sollten uns darauf verständigen, dass wir das Gescheiteste dort machen. Aber das Gescheite muss man eben erst einmal formulieren.

Aber selbst die Asfinag hat bereits längst einer Alternative zum Lobautunnel eine Absage erteilt. Und während Sie sich hier der Konjunktive erfreuen, ist doch unter Ihren Parteikollegen bereits schon längst ein veritabler Richtungsstreit ausgebrochen - oder wollen Sie das in Abrede stellen?

Ellensohn: Die Zukunft gibt es nur im Konjunktiv. Und im Prinzip haben wir eh dasselbe gesagt. Die SPÖ hat eine einheitliche Position und die Grünen auch. Und wenn wir beide das Schlaueste machen wollen, können wir nur hoffen, dass wir dasselbe unter dem Wort "schlau" verstehen.

Niedermühlbichler: Und ein bisschen medial aufgebauscht war das schon. Also ich habe schon den Eindruck gehabt, als hätte man sich das Regierungsübereinkommen angeschaut und überlegt, wo können wir einen Keil in die Koalition hineintreiben.

Anderes Thema: Es wird nun auch eine Akademieförderung in der Höhe von 2,3 Millionen Euro für die Parteien beschlossen - sind die knapp 27 Millionen Euro an Parteiförderung nicht schon genug?

Niedermühlbichler: Es geht darum, - so wie auf Bundesebene - Personalentwicklung zu ermöglichen. Abgeordnete des Gemeinderats sollen auch Weiterbildungsmöglichkeiten haben. Und es gibt hier eine ganz klare Regelung, wie so eine Akademie zu gestalten ist. So darf sie etwa nicht mit der Partei verbunden sein, es muss einen eigenen Rechnungskreislauf geben und es muss transparent sein. Ich finde, das ist eine gute Sache, schließlich ist lebenslanges Lernen sicherlich auch für Abgeordnete sinnvoll.

Ellensohn: Ich finde die Diskussion interessant, denn was kann es schaden, wenn Politiker eine Ausbildung erhalten? Es ändert natürlich nichts an der Gesamtdiskussion darüber, wie hoch die Förderung für den politischen Apparat sein soll. Wobei man aber sagen muss, dass Wien hier österreichweit noch am günstigsten ist - also die Kosten für den politischen Apparat aufgeteilt auf die Einwohnerzahl. Da ist z.B. Niederösterreich doppelt so teuer.

Was sagen sie dazu, dass nach der Wahl zuerst von großen Veränderungen gesprochen wurde, die Regierungsmannschaft aber am Ende doch fast dieselbe geblieben ist?

Niedermühlbichler: Das größte Problem ist, dass immer gleich alles an Personen festgemacht wird. Es macht schon Sinn, dass man in schwierigen Zeiten mit einem bewährten Team hineingeht. Verändert werden hingegen die Arbeitsweisen. Wir müssen schneller, effizienter werden und näher am Bürger sein.

Schließen sie in der Stadtregierung Personalveränderungen im kommenden Jahr aus?

Niedermühlbichler: Ich gehe davon aus, dass das Team über die ganze Periode bleibt. Dafür wurde es schließlich bestellt.

Bei den Grünen gab es aber mehr Veränderungen.

Niedermühlbichler: Wir haben 10 Prozent neue Abgeordnete.

Und die Grünen?

Ellensohn: 40 Prozent. Allerdings hätte ich nichts dagegen, wenn wir wie die SPÖ 44 Abgeordnete hätten.

Und Verräter mag keiner - Senol Akkilic hat letzten Endes doch nicht das versprochene SPÖ-Mandat bekommen ...

Niedermühlbichler: Es gab kein Versprechen. Es wurde geschrieben, dass Akkilic von uns "gekauft" wurde. Das war aber definitiv nicht so.