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Die Frau des saudischen Bloggers Raif Badawi, Ensaf Haidar, fordert seine Freilassung.
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Wien. Saudi-Arabien tritt die Menschenrechte nach wie vor mit Füßen. Dutzende Hinrichtungen pro Jahr mit dem Säbel, die Inhaftierung von politisch Andersdenkenden und die Auspeitschung von Personen, die Religions- und Meinungsfreiheit fordern. Einer, der seit fünf Jahren wegen letzterem "Delikt" im Gefängnis sitzt, ist der Blogger Raif Badawi. Seine Frau, Ensaf Haidar, fordert im Interview mit der "Wiener Zeitung" eine neue Solidaritätswelle.
"Wiener Zeitung": Wann haben Sie das letzte Mal mit Raif Badawi gesprochen und wie geht es ihm?
Ensaf Haidar: Gestern, er hat uns angerufen, aber nur für fünf Minuten. Wir können nur wenig telefonieren. Ein- oder zweimal in der Woche. Das Problem ist, dass es in der Haftanstalt nur zwei Apparate gibt für sechs Personen, die alle ihre Angehörigen anrufen wollen. Es gibt leider nichts Neues. Er hat sich mit den Kindern unterhalten und es ging mehr um die Familie und um Privates.
Wie sind die Haftbedingungen?
Es gibt keine oder kaum medizinische Versorgung, sie kümmern sich im Gefängnis nicht um ihn und seine Gesundheit. Die hygienischen Bedingungen sind wirklich katastrophal, und seine Zelle ist es nicht sauber. Das Essen in der Zelle ist auch nicht gut und sehr oft ist er depressiv, aber er ist ein wundervoller Mensch und versteht sich sehr gut mit seinen Mithäftlingen, macht ihnen Mut und baut sie auf.
Kann er sich den Optimismus bewahren?
Die ganze Sache ist sehr schwierig. Fünf Jahre sind wirklich genug. Es geht ihm nicht gut. Die Situation im Gefängnis ist tagtäglich eine Herausforderung. Besonders, wenn man wie er für seine Gedanken und Meinungen verhaftet wurde. Raif ist wirklich unschuldig. Alles, was er getan hat, war zu schreiben. Er hat Ideen erörtert, und da frage ich Sie, ist das ein Staatsverbrechen? Ich bitte seine Majestät, König Salman, meinen Mann bald freizulassen und ihm zu erlauben, zu seiner Frau und seinen Kindern, die er über alles liebt, nach Kanada reisen zu lassen.
Wie geht es Ihren Kindern?
Ich habe ihnen die Situation erklärt. Sie leiden. Raif ist ein sehr zärtlicher Vater, ein unglaublicher und außergewöhnlicher Mann. Wir sind seit über zehn Jahren verheiratet und haben zwei Töchter und einen Sohn. Sie wollen ihren Vater endlich wieder in den Arm nehmen.
Wie sieht es mit dem Stand des Verfahrens aus? Hat das Revisionsgericht einen neuen Erlass herausgegeben?
Die Haft ist nicht aufgehoben, das Ausreiseverbot ebenfalls nicht. Das Revisionsgericht hat heuer nichts Neues beschlossen. Die 950 verbliebenen Peitschenhiebe sind nach wie vor ausgesetzt, aber aufrecht, und die Geldstrafe von rund 250.000 Euro ist auch zu bezahlen. Das ist eine horrende Summe, die unsere Familien auf keinen Fall bezahlen können.
Wie fühlen Sie sich?
Ich bin schockiert, aber auch schon daran gewöhnt, seit Raif verhaftet wurde. Wir hoffen, sehr bald gute Nachrichten zu bekommen, und ich habe auch noch Hoffnung. Aber manchmal ist die Situation so kompliziert, dass ich nicht einmal sagen kann, was gerade vor sich geht. Was mir wirklich Hoffnung gibt, ist die Unterstützung der Menschen in aller Welt. Bitte sagen Sie Ihren Lesern, dass sie Raif nicht vergessen sollen.
Haben Sie persönlich mit den Saudi-Behörden zuletzt Kontakt aufgenommen?
Ja, ich habe König Salman einen Brief geschrieben, aber wie immer keine Antwort erhalten. Das Königshaus kommuniziert nicht mit mir.
Haben Sie noch Hoffnung, dass Ihr Mann vor dem Ende seiner zehnjährigen Haftstrafe das Gefängnis verlassen kann?
Ich hoffe es. Wenn wir unsere Hoffnung verlieren, dann können wir sagen, dass wir alles verloren haben.
Was können Unterstützer für Sie und Raif Badawi in dieser Situation tun?
Bitte demonstrieren Sie für seine baldige Freilassung, schreiben Sie Briefe an die Botschaft von Saudi-Arabien und nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Ihre Unterstützung wird so sehr gebraucht. Wir alle müssen die Freiheit in der ganzen Welt unterstützen. Freiheit ist universell. Raif braucht jede einzelne Stimme, damit er aus dem Gefängnis kommt.
Mit welchen Ländern sind Sie derzeit politisch in Kontakt?
Mit den Niederlanden, mit Kanada, mit Deutschland und mit Österreich. Den kanadischen Premier Justin Trudeau bitte ich nochmals inständig, einen Brief an Salman zu schreiben oder mit ihm zu telefonieren, um die Freilassung meines Mannes zu forcieren. Überhaupt ist eine neuerliche Solidaritätswelle des Westens mit meinem Mann und den vielen unschuldig Gefangenen in Saudi-Arabien notwendig. Wir dürfen nicht schweigen, deswegen komme ich vor Weihnachten auch wieder nach Europa, übrigens im November auch nach Wien, um Unterstützung für diese neue Protestbewegung zu sammeln.
Was erwarten Sie von den österreichischen Politikern?
Dass sie nicht aufhören, eine Stimme der Vernunft und Gerechtigkeit zu sein. Im Gespräch mit Saudi-Arabien sollte klargemacht werden, dass Menschen wie mein Mann nicht ins Gefängnis gehören. Sie gehören zu ihrer Familie.
Raif Badawi war 2012 wegen angeblicher Beleidigung des Islams zu 10 Jahren Haft, einer Geldstrafe von rund 250.000 Euro und 1000 Stockhieben verurteilt worden. Zudem hat der Blogger ein mehrjähriges Ausreiseverbot. Badawis Anwalt wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. In seinem Blog hatte sich der Wirtschaftswissenschaftler für Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von Religion und Weltanschauung, eingesetzt. Die ersten 50 Stockhiebe hat er erhalten, die weitere Bestrafung wurde vorläufig ausgesetzt, offiziell aus Gesundheitsgründen, inoffiziell wohl eher wegen des Drucks aus dem Westen. Der Fall sorgt international nach wie vor für Bestürzung gesorgt.
Der 33-jährige Aktivist hatte auf seiner Internetseite "Liberal Saudi Network" immer wieder die Religionspolizei für ihre harte Durchsetzung der in dem wahhabitischen Königreich vorherrschenden strengen Auslegung des Islam kritisiert: "Sobald ein Denker seine Ideen offenlegt, wird er mit hunderten Fatwas konfrontiert, nur weil er es gewagt hat, ein geheiligtes Thema aufzugreifen." In dem Buch, das Ensaf Haidar unter dem Titel "Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens", im Lübbe Verlag herausgebracht hat, heißt es dazu: ". . . seine theoretische Auseinandersetzung beherrschte in dieser letzten Phase der Begriff des Liberalismus. Darunter verstand Raif Toleranz seitens des Staates und Respekt vor der individuellen Freiheit seiner Bürger, dazu zählte für ihn auch das Recht auf Religionsfreiheit."
Rund 9800 Kilometer entfernt von ihrem in Jeddah inhaftierten Ehemann Raif Badawi (33) kämpft Ensaf Haidar (32) in Kanada seit Jahren für seine Freilassung.