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Funkstille in Brüssel

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die EU-Kommission vermeidet eine Stellungnahme zu Katalonien.


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Brüssel/Barcelona. Es war ein dramatischer Appell, den die Bürgermeisterin von Barcelona wenige Tage vor dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum an die Europäische Union gerichtet hat. Europa, so schreibt Ada Colau in einem Gastbeitrag für den britischen "Guardian", könne sich hinsichtlich der katalanischen Frage nicht einfach auf eine Position des Nichtstuns zurückziehen. Denn letztendlich seien die Katalanen auch spanische und europäische Bürger, deren Rechte und Freiheiten vor einer "Welle der Repression" geschützt werden müssen.

Reagiert hat auf Colaus Ruf nach einer EU-Vermittlungsmission allerdings niemand. Und selbst wenn Journalisten noch so bohren, gibt es im offiziellen Brüssel niemanden, der eine Aussage dazu machen will, ob es einen solchen Schlichtungseinsatz geben könnte oder nicht. Dass sich die EU-Institutionen gewissermaßen tot stellen, ist freilich nicht neu. Schon seit Wochen wird jeder Kommentar zur Katalonien-Krise verweigert, selbst als sich die Lage vor wenigen Tagen dramatisch zuspitzte und katalanische Regionalpolitiker von der Madrid unterstehenden Guardia Civil festgenommen wurden, kam aus dem EU-Hauptquartier kein Wort.

Denn aus offizieller Brüsseler Sicht ist der Wunsch der rund 7,5 Millionen Katalanen nach Unabhängigkeit eine rein interne Angelegenheit Spaniens. Und da es dort eine gut funktionierende Demokratie gibt, müssten Unabhängigkeitsgegner und Unabhängigkeitsbefürworter ihre Angelegenheiten in Übereinstimmung mit den Gesetzen selbst regeln.

Weg wollen viele

Dass die EU-Kommission und ihr Chef Jean-Claude Juncker in der Katalonien-Debatte nicht Stellung beziehen, dürfte allerdings nur bedingt mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung zu Neutralität und Objektivität zu tun haben. Denn im Fall von Ungarn und Polen, wo es ebenfalls um rechtsstaatliche Grundsatzdebatten geht, zeigt sich Brüssel deutlich weniger zurückhaltend. Warschau und Budapest, die in den vergangenen Monaten nicht nur verbal heftig kritisiert wurden, sondern sich auch mit mehreren Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert sehen, werfen der EU-Kommission sogar gezielte politische Agitation vor.

Verantwortlich für die Brüsseler Funkstille ist aus Sicht vieler EU-Experten daher wohl eher die in vielen Hauptstädten gehegte Befürchtung, die Katalanen könnten Nachahmer finden. So gibt es mit den Basken in Spanien gleich eine weitere Volksgruppe, die nach mehr Unabhängigkeit strebt. Auch in Belgien rumort es immer wieder im Landesteil Flandern, ebenso gibt es in der Lombardei Absetzbewegungen von Italien. Rückenwind durch die Katalanen könnten nicht zuletzt die Schotten verspüren. Ein neues Unabhängigkeitsreferendum liegt derzeit zwar auf Eis, endgültig vom Tisch ist aber noch längst nicht.

Aus Sicht vieler EU-Politiker müsste sich Europa zudem zu einer Unzeit mit den erstarkenden Unabhängigkeitsbewegungen auseinandersetzen. Denn wegen des geplanten Ausstiegs Großbritanniens und der damit verbundenen Probleme sieht sich die Union ohnehin mit enormen wirtschaftlichen und juristischen Unsicherheiten konfrontiert.

Schlechtes Krisenmanagement

Dass sie eine Unabhängigkeit Kataloniens massiv ablehnen, haben unter anderem Vertreter der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) deutlich gemacht. Wer die spanische Verfassung, die eine Abspaltung verbietet, ignoriere, untergrabe das gesamte rechtliche Fundament der Union, erklärte etwa EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani vor knapp zwei Wochen gegenüber einer katalanischen Tageszeitung. "Das sind die Regeln."

Doch auch wenn man bei den EU-Institutionen schweigt und sich diejenigen europäischen Politiker, die sich zu Wort melden, auf die Seite der Zentralregierung in Madrid schlagen, ist vielerorts auch die Unzufriedenheit zu spüren, die dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy entgegenschlägt. "Europa ist zunehmend besorgt, wie Rajoy mit der Sache umgeht", sagt Politanalyst Steven Blockmans vom Centre for European Policy Studies. Mit seiner Taktik befeuere der konservative Premierminister die Unabhängigkeitsbewegung.

Aus Sicht des liberalen Ex-EU-Abgeordneten Andrew Duff ist daher nun die Zeit gekommen, dass die anderen europäischen Regierungschefs hinter verschlossenen Türen auf Rajoy einwirken. "Der Eindruck einer Krise muss abgemildert werden", sagt Duff, der mittlerweile als Analyst den Politik-Betrieb in Brüssel beobachtet. Entschärft könnte der Konflikt etwa dadurch werden, dass Rajoy den Katalanen nicht nur droht, sondern ihnen auch etwas anbietet, etwa eine Neuregelung des umstrittenen Finanzausgleichs. Auch hat der Premier bisher kaum ausgelotet, welche Vereinbarungen unterhalb der staatlichen Unabhängigkeit für die Katalanen akzeptabel wären.

Dass etwa Jean-Claude Juncker oder ein anderer hochrangiger EU-Politiker sich doch noch als Mittler versucht, scheint aber ausgeschlossen. "Alles, was du sagst, kann gegen dich verwendet werden", sagt ein hochrangiger und mit der Materie vertrauter EU-Beamter. "Also ist es besser, wenn du nichts sagst."