Rund 500.000 Rechtsanwälte gibt es in Europa, davon 4.500 in Österreich. Die österreichischen Anwälte genießen im europäischen Vergleich einen hohen Ausbildungsstandard. Ihre grenzüberschreitende Berufsausübung ist längst vor der großen EU-Erweiterungsrunde am 1. Mai zu einem alltäglichen Ereignis geworden. Darin waren sich die Anwälte bei der 32. Europäischen Präsidentenkonferenz einig, die am Wochenende im Wiener Palais Ferstel über die Bühne ging.
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"Wir betreiben keine Nabelschau. Wir wollen im Interesse der Klienten maximale Qualität der Leistung erreichen", brachte Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), die Situation der Anwälte auf den Punkt. Immerhin benötigt der europäische Durchschnittsbürger ein Mal im Leben einen Rechtsbeistand. "Grenzüberschreitende Standards als Beitrag zur Rechtssicherheit für die EU-Bürger" lautet denn auch der Anspruch, den sich die europäischen Anwälte für das erweiterte Europa auferlegt haben. Eine Umfrage unter allen europäischen Anwaltsorganisationen bescheinigt: Die europäischen Länder tragen den Herausforderungen eines großen europäischen Marktes Rechnung, zeigte sich Benn-Ibler mit der anwaltlichen Dienstleistung zufrieden.
Grenzüberschreitende Rechtssicherheit
Österreich habe besonders in der Zeit des Eisernen Vorhangs bereits "eine wichtige Brückenfunktion" in Richtung ost- und südosteuropäische Länder hin übernommen. Zumal dort ein hoher Bedarf an Anpassung an die EU-Rechtsordnung bestehe, "das gilt insbesondere für Kroatien", so ÖRAK-Vizepräsident Rupert Wolff. Und die "besonders hohen Qualitätsstandards" der österreichischen Anwälte, abgeschlossenes Studium sowie - im Gegensatz zu Ländern wie Spanien - fünf Jahre Praxis, sollten über die Beitrittsländer hinaus verbreitet werden.
"Wir sind aufgrund unserer guten Ausbildung gefragt", untermauert der Rechtsanwaltspräsident die Tatsache, dass zahlreiche österreichische Anwaltskanzleien schon jetzt grenzüberschreitend tätig sind. Dieser "Export" sei gar nicht messbar, da es keine Statistiken gebe. Umgekehrt sind lediglich 49 Rechtsanwälte aus anderen EU-Staaten in Österreich aktiv.
Fazit: "Die Erweiterung der Europäischen Union wird ganz zwanglos funktionieren", ist sich Benn-Ibler sicher. Die beitretenden Länder werden den gemeinsamen Rechtsbestand übernommen haben. "Die Grenzen werden nur mehr eine Fremdenverkehrsattraktion sein." Die Anwaltschaft sei ohnehin längst "der liberalisierteste Berufsstand in Europa", lehnte Benn-Ibler einmal mehr die Liberalisierungsbestrebungen der EU-Kommission bei den Freien Berufen ab (die "Wiener Zeitung" berichtete).
Liberalisierter Berufsstand
Im Visier von Wettbewerbskommissar Mario Monti stehen neben den Rechtsanwälten auch die Notare, Wirtschaftsprüfer, Architekten, Ingenieure und Apotheker. In deren Standesregeln sieht die Kommission eine Beschränkung des Wettbewerbs. Besonders betroffen sind Deutschland und Österreich, die nach Einschätzung der EU-Wettbewerbsbehörde sehr stark reguliert seien. Was Rechtsanwaltspräsident Benn-Ibler zurückweist: Werbebeschränkungen gebe es für Anwälte in Österreich seit sechs Jahren nicht mehr, "die Werbung muss nur sachlich und wahr" sein. "Interdisziplinäre Partnerschaften" etwa von Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern lehnt er ebenfalls ab. Es könnte Interessenkollisionen geben, die anwaltliche Unabhängigkeit könnte gefährdet werden.