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Interview mit dem Djihad-Experten Nico Prucha. | "Hilfe für unterdrückte Muslime Teil religiöser Pflicht." | "Wiener Zeitung": Was bedeutet der Tod Osama bin Ladens für die Djihadisten, also die islamistischen Gotteskrieger? | Nico Prucha: Relativ wenig, weil Bin Laden schon lange keine operative Funktion mehr hatte. Allerdings wird jetzt ein riesiger Propagandaapparat voll anlaufen und seine Taten, Reden und Botschaften unter die Leute bringen.
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Ansonsten wird der Kampf der Djihadisten gegen den Westen und seine Verbündeten weiter gehen wie bisher.
Wir wichtig war bzw. ist eine Symbolfigur für die Finanzierung islamistischen Terrors?
Ein bekanntes Gesicht hilft natürlich immer beim Spendensammeln, aber die Finanzierung von Terror im engeren Sinne ist natürlich etwas, das sehr, sehr abgeschottet vor sich geht. Etwas anderes ist das bei islamischen Wohltätigkeitsorganisationen, die zu legitimen Spendenaktionen für Muslime in Not aufrufen, aber dann stillheimlich einen Teil der Gelder für Terroristen abzweigen. Und dann gibt es noch jene streng Religiösen, für die der Djihad zur Pflicht des wahrhaft Gläubigen gehört. Für sie ist es, wenn sie an den entsprechenden Schalthebeln sitzen, dann auch legitim, normale Spendengelder an Djihadisten weiterzuleiten. Im Bosnien-Krieg war das etwa über saudische Netzwerke der Fall.
Was kann man tun, um diese Finanzquellen des Terrors auszutrocknen?
Das ist schwierig, weil es große Graubereiche gibt. Im Westen wird meist die ideologische Breite und historische Tiefe des Djihadismus unterschätzt. Die Hilfe für unterdrückte Muslime ist fester Bestandteil der religiösen Pflichten - exemplarisch kann man das an der Unterstützung für die afghanischen Mujaheddin im Kampf gegen die Sowjets nachzeichnen. Für die Djihadis ist nur der ein wirklich Gläubiger, der auch selbst am Kampf teilnimmt; so gesehen steigen auch diejenigen in ihrem religiösen Status, die Geld für diesen Kampf bereit stellen, aber natürlich ist nicht jeder muslimische Spender ein Terrorfinanzier.
Wie wichtig ist das Internet für die Djihadisten?
Bereits in den 80ern und 90ern gab es in den Golfstaaten Büros, die Faxe und Videos an Sympathisanten in der ganzen Welt gegen Bezahlung verschickten. Heute ist die Propaganda online, man muss dafür nicht mehr extra bezahlen, dafür fließt jetzt Geld der islamischen Diaspora zurück nach Hause, wo gekämpft wird. Es gab im Internet schon Videos, auf denen ein Angriff auf eine US-Kaserne in Afghanistan zu sehen war; anschließend saßen die Kämpfer zusammen und aßen; dazu erklärte ein Kommentar, dass dieser Angriff samt Essen nur dank der Spende eines gläubigen Bruders möglich war. Wie viele solcher reicher Privatpersonen es aber tatsächlich gibt, die über solche Spenden ihr religiöses Gewissen beruhigen wollen, ist schwer zu sagen.
Wie beurteilen Sie die Versuche des Westens, diese Geldquellen zu unterbinden?
Das zu unterbinden, ist schwierig. Der Djihadismus hat im Islam eine historische Legitimation, die bis auf die militärischen Kampagnen Mohammeds zurückgeht. Das versucht der Westen meist auszublenden, doch die heutigen Djihadisten machen sich die ruhmreiche Vergangenheit geschickt zu nutze. Al-Kaida Online hat sich eine erfolgreiche Nische geschaffen. Es gibt, neben den vier anerkannten Rechtsschulen mittlerweile eine fünfte: Diese hat sich den Djihadismus auf die Fahnen geheftet und findet ausschließlich online statt. Hier gibt es für den zum Kampf Entschlossenen alles, was er braucht: Ideologische Botschaften, Erbauung und Anleitungen für Anschläge. Die Aktivisten empfinden sich als Speerspitzen im Kampf der Wahrheit gegen das Programm der Falschheit. Dieser Antagonismus findet sich auch in den historischen Texten wieder. Dass die meisten Regierungen sich mittlerweile gegen die Djihadisten gewandt haben, ändert nichts an ihrer Anziehungskraft.
Zur Person
Nico Prucha, geb. 1979, arbeitet seit 2010 an einem Projekt zum Thema Online-Djihadismus des Instituts für Orientalistik der Universität Wien und des Österreichischen Instituts für Internationale Politik.