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Für die Laizität, jetzt mehr als je zuvor

Von Jérôme Segal

Gastkommentare
Jérôme Segal ist Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialwissenschaft und Assistenzprofessor an der Universität Paris-Sorbonne.

Laizität bedeutet nicht wegschauen, sondern Respekt und Vernunft.


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Sollte der französische Staat nicht doch einen Blick in die Moscheen der Pariser Banlieues werfen, nachdem islamistische Terroristen 130 Menschen in Paris ermordet haben? Und das trotz der Laizität, die eine Trennung zwischen Staat und den verschiedenen Religionen vorschreibt? Diese Trennung ist in Frankreich 110 Jahre alt. Es ging damals darum, die Macht der katholischen Kirche und die Kirchenprivilegien zu bekämpfen.

Laizität ist nichts besonders "Französisches", sie ist eine Konsequenz der Gleichheit im spirituellen Bereich: in Bezug auf die Frage, ob es einen Gott, Götter oder Göttinnen gibt, sind die drei möglichen Stellungnahmen - Gläubigkeit, Atheismus oder Agnostizismus - genau gleich zu behandeln.

Seit einer Woche kursiert ein Video von Rachid Abou Houdeyfa, Imam von Brest, in der Bretagne. Er erklärt 20 oder 30 Kindern, dass diejenigen, die Musik hören, eigentlich in Kontakt mit dem Teufel sind. Musikliebhaber würden sich in Affen und Schweine verwandeln. Er fordert am Ende seiner Predigt, dass alle ihre Musikdateien von den Handys und mp3-Playern löschen und stattdessen den Koran herunterladen. Die Musik sei "haram", genau wie Schweinefleisch oder Alkohol.

Nun, das Video ist schon 18 Monate alt und erst diese Woche ist den Behörden klar geworden, dass es vielleicht doch ein Problem darstellen könnte, wenn dieser Imam weiter Hass gegen Musikliebhaber schürt. Im Konzertsaal Bataclan wurden soeben 89 Rock-Fans ermordet.

Religion ist Privatsache, aber die Laizität fordert nicht, dass der Staat Scheuklappen trägt, sobald es um Religion geht. Erst seit dem 13. November hört man die Stimmen lauter, die Frankreichs Anbiederung an Katar kritisch betrachten. Wenn Katar 50 Millionen Euro für heruntergekommene Viertel der Pariser Banlieue spendiert, weiß man wirklich, was dann vor Ort passiert? Macht es politisch Sinn für Frankreich, in Wien das berühmte Palais Clam-Gallas an das Emirat der arabischen Halbinsel zu verkaufen, obwohl diese absolute wahhabitische Monarchie nichts anderes ist als ein gelungener IS? Schlechtes Timing: Der Verkauf des Palais wurde zwei Tage vor den Pariser Anschlägen bekanntgegeben.

Menschenrechte sollten wichtiger als wirtschaftliche Interessen sein, weil diese viel zu kurzfristig sind und letztlich nur die Profite von einigen Privilegierten bedienen. Wie kann die "Grande Nation" dulden, dass im Parlament der Präsident der "Freundschaftsgruppe Frankreich Saudi-Arabien" Olivier Dassault ist, der auch dem Aufsichtsrat der "Gruppe Dassault" vorsitzt, eben die Firma, die Kampfflugzeuge produziert?

Laizität bedeutet nicht wegschauen, sondern Respekt und Vernunft. Man darf wohl Religionen kritisieren, ohne automatisch als "islamophob" abgestempelt zu werden, wenn man Suren des Korans in Frage stellt. Ist man "kathophob", wenn man der Auffassung ist, dass das Priesterzölibat diskutiert gehört? Für viele Linke sind Muslime die neuen Proletarier, die man schützen soll. Kleine Kinder, die keine Kritik oder keine Karikatur dulden (siehe "Charlie Hebdo"). Ganz im Gegenteil! Die Laizität lehrt Toleranz und ermöglicht ein Zusammenleben - etwas, das dringender denn je geworden ist.

Am Donnerstag nimmt Jérôme Segal um 19 Uhr im Palais Clam-Gallas, Währimger Straße 30, 1090 Wien, an einer Podiumsdiskussion mit dem Thema "Die Laizität à la francaise, Illusion oder Fortschritt?" teil.