Der Plan, die Arbeitszeit zu verlängern, führt zu Kritik. Wie lange arbeiten wäre optimal?
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Wien. "Es is’ no finster, und do her i eam scho. - Er red’t nix und huast vü, wamt Kaffee am Rechaud. - I lieg’ no in der Hapf’n, wann die Tir draußt geht. - Weu in die Orbeit, in die Orbeit kummt ma net zu spät." Den Beginn eines solchen Arbeitsalltags, den Willi Resetarists als Ostbahn-Kurti mit seiner Chefpartie 1989 besang, wollen Gewerkschaften, Betriebsräte und Arbeitnehmer heute in Wien demonstrativ dem von der Regierung geplanten zwölf Stunden langen Maximalarbeitstag und einer 60-Stunden-Arbeitswoche entgegentreten.
Willi Mernyi, Organisator und ÖGB-Sekretär, geht von mehreren zehntausend Teilnehmern aus; viele davon auch aus den anderen Bundesländern, die per Bus oder Sonderzug zum Start der Demonstration um 14 Uhr am Wiener Westbahnhof kommen. Auch der innenpolitische Freitagnachmittag stand wegen einer von der SPÖ beantragten Sondersitzung im Parlament ganz im Zeichen des neuen Arbeitszeitgesetzes.
Was für Sozialdemokraten das Abschaffen einer Errungenschaft der Arbeiterbewegung von vor fast 100 Jahren, ein "Rückschritt in frühindustrielle Zeiten" ist und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erschwert, ist für die Regierung die "bewusste Fehlinterpretationen eines Gesetzes", das dem Standort nützt und es Unternehmen erleichtert, ihre Aufträge abzuarbeiten. Dabei stellt sich die Frage, welche Arbeitszeit tatsächlich betriebs- und volkswirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich Sinn macht.
Das unterschiedliche Ja zur flexiblen Arbeitszeit
"Vurbei an die hoch’n Häuser voller z’sammgstauchte Leit - Z’erscht mi’n Radl, dann mi’n Moped, auf’s Auto sport er bis heit", wie Ostbahn-Kurti weiter singt, gehört heute in Österreich fast bei allen der Vergangenheit an. "Weu in der Orbeit, in der Orbeit muaß ma ollas geb’n" allerdings scheint mehr denn je auf große Teile der Bevölkerung zuzutreffen.
Auch wenn dem European Working Conditions Survey zufolge 53 Prozent der variablen Arbeitszeiten in Österreich heute ausschließlich von Betrieben vorgegeben werden, es gibt sie, die Mitarbeiter mit dem Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten. Die selbe Erhebung zeigt, dass in 16 Prozent der Fälle die Mitarbeiter die Arbeitszeit bestimmen.
Grundsätzlich ist laut Johannes Gärtner, Obmann der Arbeitszeitgesellschaft und Geschäftsführer von Ximes, einem Unternehmen, das Betriebe bei Arbeitszeitmodellen berät, eine Win-win-Situation möglich: In seiner Analyse der Gesetzesnovelle stellt er fest, dass es für Unternehmen ein großer betriebswirtschaftlicher Vorteil ist, bei Auftragsspitzen die Kapazität von 38,5 oder 40 Stunden auf bis zu 60 Stunden pro Woche und auf bis zu 12 Stunden pro Tag hochfahren zu können: "Ein Industriebetrieb könnte dann vorübergehend zwei Schichten mit jeweils zwölf Stunden fahren, die Anlage also voll auslasten", sagt Gärtner. Die Beschäftigten verdienten mehr, könnten sich in auftragsschwächeren Perioden Zeitausgleich nehmen. Also sind alle zufrieden?
Nicht ganz, die Stichworte hierbei sind laut Gärtner "vorübergehend und kurzfristig." Nach der bisher gültigen Gesetzeslage waren maximal 320 Überstunden im Jahr zulässig; künftig sind es 416 Überstunden - übrigens ohne arbeitsmedizinische Prüfung der Unbedenklichkeit so langer Arbeitszeiten in Betrieben ohne Betriebsrat, was "besonders bedauerlich ist." Lange Arbeitszeiten über einen längeren Zeitraum bringen auch betriebswirtschaftlich Kosten, weil die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt, die Produktivität dagegen sinkt: "Diese Kosten sind aber oft verdeckt."
Aber nicht nur das: Etablieren sich Überstunden als Normalkultur, gewöhnen sich Mitarbeiter an das höhere Einkommensniveau: "Sie verteidigen die Überstunden dann auch bei schlechterer Auftragslage vehement. Dadurch sind schon Betriebe in große Probleme gekommen." Außerdem kommt der Wunsch nach längeren Arbeitszeiten auch von Arbeitgebern vieler Saisonbetriebe. Über mehrere Wochen hinweg mache eine Ausweitung der Arbeitszeit weder betriebswirtschaftlich noch arbeitswissenschaftlich Sinn. Gärtner: "Da ist rasch Schluss mit dem Nutzen für alle, ein 12-Stunden-Tag über längere Zeit hinweg ist die Hölle."
Arbeitszeitverlängerung als "Schuss ins Knie"?
In Branchen, die wegen der Arbeitsbedingungen ohnehin schon ein Fachkräfteproblem hätten, wie zum Beispiel die Gastronomie, "könnte dazu führen, dass sich noch weniger Menschen dort bewerben. Ich glaube, dass eine Arbeitszeitverlängerung in solchen Betrieben ein Schuss ins Knie ist", sagt Gärtner.
Tatsächlich gehören Restaurants, Gaststätten oder Cafés schon heute zu den Top-5 der Wirtschaftsbereiche mit den meisten anfallenden Überstunden. Eine gemeinsame Studie der Universität Wien und der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, kurz Forba, zeigt, dass rund 92.000 Beschäftigte in Gastronomiebetrieben jährlich 7,2 Millionen Überstunden leisten. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt hier zwar bei 34,7 Stunden, der Grund dafür ist die ebenfalls häufige Teilzeitarbeit in Gastrobetrieben.
Jörg Flecker, Soziologe an der Universität Wien und für die Studie mitverantwortlich, weist außerdem darauf hin, dass "es einem Wirtschaftsstandort auch schaden kann, wenn man kurzfristig den Interessen einiger Unternehmer folgt". Die Studie zeigt außerdem, dass Mitarbeiter mit heute schon langen Arbeitszeiten kürzer, jene mit durchschnittlich kurzen länger arbeiten wollen: Jene mit einer Zwölf-Stunden-Woche wünschen sich im Durchschnitt fünf Stunden mehr Arbeit, jene die in der Befragung zuletzt auf 58 Stunden kamen aber würden gerne um zwölf Stunden reduzieren. Mit einer Arbeitswoche von 33 Stunden sind die Arbeitnehmer übrigens am zufriedensten.
Gesundheitliche Problemeund Unfälle mehren sich
Die Verschärfung der Arbeitnehmerschutzgesetze der vergangenen Jahrzehnte haben auch dafür gesorgt, dass "Er is’ bold terrisch von der Hock’n, und er is’ blind für’s Leb’n" nur bei wenigen Beschäftigten zu erwarten ist.
Die Arbeitszeit sollte laut Flecker allerdings auch heute noch in Berufen "mit besonders viel Kundenkontakt und solchen, die physisch und psychisch belasten, kürzer sein." Heute ist das Gegenteil der Fall: Die Forbastudie weist gerade für Krankenhäuser, Polizisten oder am Bau besonders viele Überstunden aus. Und das Gesundheits- und Unfallrisiko bei langen Arbeitstagen hintereinander steigt deutlich. Gärtner rechnet vor, dass die Unfallwahrscheinlichkeit auf das drei bis fünffache ansteigen kann: "Das Unfallrisiko bei der Heimfahrt nach mehreren zwölf Stunden-Nachtschichten hintereinander ist mit jenem einer starken Alkoholisierung vergleichbar."
Arbeitsmedizinier Gerhard Blasche führt außerdem eine Studie an, wonach das Unfallrisiko in der zwölften Arbeitsstunde rund drei Mal so hoch ist, wie in der ersten. Im neuen Gesetz spielten Pausen keine Rolle, dabei könnten diese solche Risiken mindern. "Pausen, also eigentlich kürzere Arbeitszeit, machen Mitarbeiter produktiver", sagt Blasche außerdem. "Man schafft mehr, deshalb macht es auch für Arbeitgeber Sinn, die Arbeit mehr aufzuteilen und nicht weniger Leute an weniger Tagen länger arbeiten zu lassen."
Längere Arbeitszeiten beeinträchtigen Gleichstellung
"Wann er hamkummt, is’ finster, der Tog is’ vurbei - Er hot tan, wos zum tuan is’, weu des muaß so sei - Er red’t nix und huast vü, er wü sei Ruah und sein Tee mit Rum". Tatsächlich stellt Ingrid Mairhuber, die sich bei Forba mit den Arbeitszeiten von Müttern und Vätern auseinandersetzt, fest: "Gute Väter zeichneten sich noch vor einer Generation dadurch aus, dass sie ihre Familien in materieller Hinsicht gut versorgen, im Schnitt also mehr Arbeitsstunden leisten als Männer ohne Kinder."
Heute ist das zwar im Aufbrechen, unbezahlte Arbeit nach der Erwerbsarbeit übernehmen allerdings nach wie vor Frauen, "und zwar zu zwei Drittel", wie Katharina Mader, die sich an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem ökonomischen Nutzen von unbezahlter Arbeit auseinandersetzt, erläutert. Insgesamt werden zehn Milliarden Stunden pro Jahr in Österreich geleistet. "Das ist ein unfassbar wichtiger Beitrag, damit die Gesellschaft funktioniert."
Die Ökonomin geht deshalb davon aus, dass längere Arbeitszeiten das Problem, Arbeit und Familie zu vereinbaren, nochmals verschärfen, bei Paaren Mütter wieder aus dem Erwerbsleben drängen, "viele davon wieder ihre finanzielle Unabhängigkeit verlieren".
Fatal sei längeres Arbeiten aber für jene, die schon heute am extremsten belastet sind - und zwar von berufstätigen Alleinerziehenden. Die Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria zeigt, dass Alleinerziehende nach siebeneinhalb Stunden Erwerbsarbeit nach Hause kommen, dann ist es Nichts mit Ruhe und dem Tee mit Rum. Auf sie warten weitere sieben Stunden Hausarbeit und Kinderbetreuung. "Weu des Leb’n is Orbeit und die bringt eam um" müsste 2018 also "Weu des Leb’n is Orbeit und die bringt sie um" heißen.