Benedikts Rückzug als Papst löste Sturm aus, der mit Franziskus bis heute weht.
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Rom. Vom Petersdom sind es nicht viele Schritte den vatikanischen Hügel hinauf zum Kloster Mater Ecclesiae. Das Kloster, ein funktionales Backsteingebäude aus den 90er Jahren, liegt im Grün der gut bewachten vatikanischen Gärten. Hier lebt der emeritierte Papst Benedikt XVI. in etwa so spartanisch wie sein Nachfolger Franziskus im vatikanischen Gästehaus Santa Marta. Nur, dass sich niemand für diese einfachen Verhältnisse interessiert. Es ist eine seltsame Eremitage, in die sich Benedikt begeben hat. Mitten im Vatikan. Nichts ist von ihm zu hören, fast nichts. Benedikt lebt wie von ihm selbst angekündigt "für die Welt verborgen". Verschwunden ist er keineswegs.
Vor einem Jahr, am 11. Februar 2013, kündigte der Papst aus Deutschland seinen Rücktritt an. Die Bilder von damals wirken wie aus einer anderen Zeit. Der Papst in der Mozetta, dem roten, von Kaninchenfell gesäumten Schultermantel, trägt die goldbestickte Stola. Er spricht Latein. Es war wie ein letztes Missverständnis, dass ihn damals nicht einmal alle Kardinäle sofort verstanden. Weite Teile der Welt, auch der katholischen, hatten schon viele Etappen seines achtjährigen Pontifikats nicht nachvollziehen können. Als konservativ, zu sehr auf das Innenleben der Kirche und der Kurie konzentriert und als machtlos, so empfanden viele Benedikt. Am Ende leistete er mit seinem Rücktritt den größten denkbaren Kraftakt. Der Sturm, den seine historische Entscheidung damals entfachte, ist mit Franziskus immer noch in vollem Gange. Das große Experiment in der katholischen Kirche dauert an, auch dank Benedikt.
Ein zufriedener Mönch
Das Alter hat seine Spuren an dem 86-Jährigen hinterlassen, aber geistig ist er noch "voll da", wie alle Augen- und Ohrenzeugen, die Benedikt in den vergangenen Wochen getroffen haben, berichten. Alleine in den ersten beiden Monaten nach dem Rücktritt am 28. Februar, als Benedikt in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo seinen Rückzug fand, baute er sichtlich ab. Inzwischen hat er sich erholt. Er sei "wieder aufgeblüht", behauptet Erzbischof Georg Gänswein, der als Privatsekretär mit Benedikt im Kloster wohnt. Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist Joseph Ratzinger nach dem Abschied aus dem Rampenlicht sogar wieder ganz in seinem Element. Auf Besucher wirkt er wie ein zufriedener Mönch, der aus den Fenstern seiner Kartause heraus das Wehen der von ihm entfachten Stürme beobachtet.
Seine päpstliche Schale hat Benedikt trotzdem nicht einfach abgestreift. Der Fischerring wurde nach seinem Rücktritt zwar zerstört. Er hat seinen Namen behalten, trägt wieder einen goldenen Bischofsring und geht an seinem Stock mit silbernem Knauf. Der emeritierte Papst streift auch weiter den weißen Talar über, als Zeichen dafür, dass "die Prägung durch das Papstamt auch über die Zeit der aktiven Tätigkeit hinaus" andauert. So hat es sein 90 Jahre alter Bruder Georg Ratzinger vor kurzem berichtet. Für ihn ist ein eigenes Zimmer im zweistöckigen Kloster reserviert, er hat Benedikt schon zweimal für mehrere Wochen im Kloster besucht. Neben Gänswein ist sein Bruder die engste Bezugsperson des emeritierten Papstes. Seinen mönchischen, aber doch nicht zu mönchischen Alltag teilt Benedikt mit dem Privatsekretär und vier "Memores" genannten Laienschwestern, die Benedikt schon früher im päpstlichen Appartamento versorgten. Gemeinsam feiern sie jeden Morgen um sieben Uhr die Messe in der Klosterkapelle. Um acht gibt es Frühstück. Anschließend beantwortet der emeritierte Papst seine Post, die immer noch massenhaft kommt.
Besuche von Franziskus
Nach dem Mittagessen, das die Schwestern zubereiten, geht Benedikt in einem kleinen Wäldchen hinter dem Kloster spazieren und hält im Anschluss eine Siesta. Nach dem Gebet empfängt Benedikt meist ab 18 Uhr Gäste und Freunde. Darunter sind Kardinäle, Theologen, Weggefährten. Benedikt schreibt viele Briefe, liest Bücher und Zeitungen, isst um halb acht Uhr zu Abend und sieht anschließend die Abendnachrichten im italienischen Fernsehen. Um kurz vor zehn geht er ins Bett. Auch Franziskus kommt ab und zu zum Mittagessen. Es ist kein Geheimnis, dass sich der Papst aus Argentinien von seinem Vorgänger immer wieder Ratschläge holt. Das geschieht direkt, per Brief oder über Gänswein, der als Präfekt des päpstlichen Hauses die Audienzen des amtierenden Papstes abwickelt und Franziskus täglich zu Gesicht bekommt.
Mindestens zweimal hat der emeritierte Papst seine vatikanischen Kartause bisher verlassen. Im August besuchte er ein zu seinen Ehren aufgeführtes Konzert in der Sommerresidenz Castel Gandolfo. Anfang Jänner stattete er seinem wegen eines Schwächeanfalls eingelieferten Bruder im römischen Gemelli-Krankenhaus einen Besuch ab, inkognito. "Er ist ja kein Gefangener", sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi "Sie können rausgehen, wann sie wollen", sagte Franziskus. Benedikt aber lebt "für die Welt verborgen". Fast immer. In seine Heimat, nach Deutschland wird er nicht mehr kommen und auch sonst nicht mehr auf Reisen gehen. Da sind sich seine Vertrauten sicher.