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Der Europäische Rat in Nizza ist aus der Sicht Österreichs der wichtigste EU-Gipfel seit dem Beitritt zur Union und seit dem Vertrag von Amsterdam. Es habe daher noch nie so viele "Konklave-Sitzungen" im Vorfeld gegeben, sagte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Gestern legte sie noch einmal die österreichischen Positionen im Hinblick auf die Regierungskonferenz und die EU-Erweiterung dar.
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"Conditio sine qua non" für eine erfolgreiche Erweiterung sei die in Nizza zu beschließende Reform der EU-Institutionen. Der europäische Einigungsprozess müsse aber auch die Akzeptanz der Bevölkerung berücksichtigen.
Jedes Mitgliedsland müsse daher weiterhin in jeder wichtigen europäischen Institution vertreten sein. So auch in der Kommission. "Das Wichtigste ist, dass wir ein Gesicht haben. Und unser Kommissar in Brüssel ist unser Gesicht", meinte Ferrero-Waldner. Der Kommissar sei der "Link" für jedes Land zur Union. Außerdem tritt Österreich für eine Stärkung des Kommissionspräsidenten ein und kann sich auch mehr Vizepräsidenten innerhalb der Kommission vorstellen. Erst nach der EU-Erweiterung werde man sehen, wie die Kommission funktioniert. Dann könne man noch einmal darüber reden.
Bei der Stimmgewichtung geht es darum, dass das Gleichgewicht zwischen großen und kleinen Staaten gewahrt bleibt (siehe auch Bericht auf Seite 3). Österreich sei hier "allgemein flexibel". Eine "moderate Stimmanpassung" sei möglich, wenn die großen Staaten (Deutschland, Frankreich) auf einen Kommissar verzichten. Die staatliche Souveränität müsse jedenfalls aufrecht erhalten bleiben, so Ferrero-Waldner.
Entscheidungsabläufe müssten "so dynamisch wie möglich gestaltet" werden. In Nizza sollen daher Fortschritte erzielt werden in Richtung qualifizierter Mehrheit. Diese soll in bestimmten Abstimmungsfragen ausgeweitet werden - nicht zuletzt um "unsachliche Junktime zu verhindern". Dabei gebe es für jedes Land sensible Fragen, etwa das Wasser als "weißes Gold" für Österreich, die Wahl des Energieträgers, die Einwanderungsregelung oder die Verkehrsproblematik. Hier will Österreich keinesfalls vom Einstimmigkeitsprinzip abgehen, wie auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wiederholt betonte. Gestern ließ er sich aber wegen der Nationalratssitzung ent- schuldigen, da er "unabkömmlich" gewesen sei.
In der Frage der verstärkten Zusammenarbeit sind die 15 EU-Staaten am weitesten fortgeschritten: Eine weitergehende Kooperation einer Gruppe von Mitgliedsstaaten (zumindest acht) soll es einem zukünftigen EU-Beitrittsland ermöglichen "aufzurücken, wenn es kann und will". Diese Vorgangsweise hat die EU bereits beim Schengen-Abkommen und bei der Währungsunion und der Einführung des Euro angewendet.
Bei der geplanten Änderung des Artikels sieben des EU-Vertrages zur Schaffung eines Frühwarnmechanismus bei der Verletzung europäischer Grundwerte durch einen Mitgliedsstaat fordert Österreich eine Entscheidung durch "Konsens minus eins": Alle Mitgliedsstaaten außer dem betroffenen Staat müssten zustimmen. Andere EU-Staaten sind hier für eine vier Fünftel- oder neun Zehntel-Mehrheit.
"Das Wissen um den richtigen Zeitpunkt ist der halbe Erfolg", ist die Außenministerin optimistisch für eine Einigung in Nizza. Fest steht: "Das Gesamtpaket muss stimmen und ausgewogen sein." Österreich habe "einen Verhandlungsspielraum", sei aber bereits in Steuerfragen oder im Sozialbereich flexibel gewesen.
Die Chancen für eine Einigung in Nizza bis Sonntag schätzt Ferrero-Waldner mit 70 zu 30 ein. Freilich könne aber auch ein Scheitern nicht ausgeschlossen werden.