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Im Interview philosophiert Wiens Bildungsdirektor Heinrich Himmer über ein Schulsystem ohne Schulwechsel, in dem junge Menschen den Ausbildungsplatz bekommen, den sie sich wirklich wünschen.
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Die Amtszeit des Wiener Bildungsdirektors Heinrich Himmer ist stark von Krisen geprägt, von Pandemie bis Ukraine-Krieg. Ein Ziel hat er jedoch seit seinem Berufsstart als Lehrer vor Augen: Er will "zu einer besseren Welt kommen". Es gebe nur wenige Arbeitsplätze, wo man so direkt auf die Zukunft einwirken könne, meint er. Handlungsbedarf sieht Himmer im Bildungssystem bei Schulwechseln und im neunten Schuljahr.
"Wiener Zeitung": Von einer Schulreform wird schon ewig geredet, die Krisen haben erneut gezeigt, wo Bedarf besteht - was sollte eine Reform Ihrer Meinung nach bringen?
Heinrich Himmer: Eigentlich hatte ich die Hoffnung, nachdem die Pandemie jetzt etwas im Abflauen ist, dass wir uns verstärkt mit Inhalten befassen können. Nun hat uns aber die Ukraine-Krise schon wieder sehr im Griff. Wir brauchen eine große Schulreform, die die Schubladen auflöst, nicht nur neu einfärbelt - die Hauptschule heißt erst Mittelschule, dann Neue Mittelschule, dann wieder Mittelschule. Dort macht man aus einer Schublade zwei, hat den Standard-Weg und den AHS-Weg. Und dann glaubt man, dass das für die Schüler, Eltern oder Pädagogen besser ist. Das ist aus meiner Sicht Mist. Ich sehe allerdings im Moment keine großen Reformen kommen. Die jetzigen Krisen, von der Pandemie bis zu den geopolitischen Umwälzungen, haben jedoch unser gesamtes Weltbild durcheinandergerüttelt, sie erhöhen den Druck, dass der Bildungsbereich sich verändern muss.
Was muss sich konkret ändern?
Wir haben ein System, das so stark in Schubladen geschachtelt ist, dass man automatisch auch in Schubladen denkt. Ohne dass Eltern ihre Kinder massiv unterstützen, beim Lernen, bei den Hausaufgaben, wird ein durchschnittliches Kind heute vermutlich in der Schule scheitern. Das ist für mich ein Herzensproblem. Das leidige Thema der gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen gebe ich nicht auf. In allen Ballungsräumen sehen wir, dass dieses "AHS-Unterstufe gegen Mittelschule" Probleme macht. Es geht nicht darum, eine Schule gegen die andere auszuspielen, sondern die Stärken beider beizubehalten. Letztlich muss man das Beste für die Kinder erreichen. Es ist doch wurscht, wie die Schule heißt. Wir stellen allerdings fest, dass es unglaublich viele Zuschreibungen zu bestimmten Bildungsverläufen gibt, Matura ist alles. Gleichzeitig sehen wir im Fachbereich, dass gute Jobs und tolle Ausbildungen liegen bleiben und die Nachfrage der Unternehmen hoch ist. Wir haben es nicht geschafft, dies zu vermitteln.
Hat es nicht geheißen, AHS-Unterstufe und Mittelschule seien gleichgestellt? Beim Schulwechsel mit 14 Jahren stellt sich aber oft heraus, dass es da viele Hindernisse gibt.
Die Nahtstellen-Problematik - also der Wechsel vom Kindergarten in die Volksschule, dann in die AHS oder Mittelschule, in HAK, HTL, AHS-Oberstufe - das ist wie ein Reißverschluss, in den man sich einzwickt. Diese Übergänge sind mehr als holprig. Die Heterogenität der Gesellschaft, die Erwartungen der Eltern und der Lehrer hat sich massiv verändert in den letzten 50 bis 70 Jahren. Aber die Schul-Nahtstellen sind die gleichen geblieben. Mein Wunschtraum wäre es, keine Nahtstellen zu haben. Da, wo ich hinwill, da spezialisiere ich mich, muss aber die Schule nicht dafür wechseln. Warum muss man da einen komplizierten Anmeldeprozess durchlaufen, man bleibt doch Wiener Schüler.
Wie ist das mit den Schulplätzen grundsätzlich geregelt?
Ein Wiener Kind kann sich für jede Schule anmelden. Die Zuteilung im Pflichtschulbereich, für Volksschule, Mittelschule und Polytechnische Lehrgänge, ist Landessache. Man darf sich überall einen Platz suchen, aber wenn sich zu viele anmelden, kommen die Kriterien Geschwisterkind und Wohnortnähe zum Zug. Für die AHS muss zusätzlich die AHS-Reife nachgewiesen werden, das heißt, in Deutsch, Lesen und Mathematik darf man keine schlechtere Note im Volksschulzeugnis haben als "Gut". Jede AHS-Schulleitung kann aber selbst entscheiden, wen sie aufnimmt. Das gilt auch für den Wechsel mit 14 von der Mittelschule in die AHS-Oberstufe oder Berufsbildende Höhere Schule.
Werde ich von der Wunschschule abgelehnt, wo finde ich freie Schulplätze? Muss ich jede Schule extra anrufen?
Nein, es ist unser Job als Bildungsdirektion, einen Platz zu finden, wenn jemand nach der Volksschule die AHS-Reife hat, aber keinen AHS-Platz bekommt.
Auch wenn man mit 14 nicht in die Wunschschule kommt?
Ja, unsere Aufgabe ist es, dass alle, die einen Schulplatz wollen, egal in welchem Alter und mit welchen Voraussetzungen, einen bekommen. Wir sind allerdings in diesem ganzen Aufnahmeprozess darauf angewiesen, dass, wenn Sie dabei scheitern, Sie sich bei uns melden. Dann sehen wir nach, wo es noch freie Plätze gibt. Erschwerend kommt hier allerdings hinzu, dass im Schulbereich immer alle gleichzeitig kommen. Da reden wir von 20.000 Schülern pro Schuljahr in Wien.
Und wenn sich jemand vor lauter Frust nicht meldet?
Sie haben recht, die Zuteilung in einer HAK oder HTL ist frustrierend, Schüler und Eltern werden da völlig allein gelassen. Ist ein Schüler noch schulpflichtig, braucht er oder sie aber einen Schulplatz. Stellen wir bei einem 14-Jährigen fest, der hat noch ein neuntes Schuljahr, ist aber nirgends angemeldet, melden wir uns bei den Eltern im September. Dann wird derjenige dort hingesetzt, wo noch Platz ist - ob an eine HAK, in der Polytechnischen Schule (PTS), wo auch immer.
Will man mit 14 Jahren von der Mittelschule in die AHS-Oberstufe wechseln, welche Voraussetzungen muss man erfüllen?
Es gibt Notenkriterien, mit denen überlegt wird, ob ein Schüler das schaffen kann, aber es ist es eine autonome Entscheidung der AHS-Schulleiter. Tatsächlich gibt es hier keine Aufnahmekriterien.
Hat ein Mittelschüler mit 14 das Recht ein weiteres Jahr zu machen, das nicht PTS heißt?
Ja, aber nur, wenn es Plätze gibt. In den PTS gibt es jedoch keine Platzprobleme in Wien.
Ist das neunte Schuljahr in der PTS nicht ein verlorenes Jahr?
Das neunte Schuljahr sollte anders organisiert werden. Es gibt Kinder, die mit 13, 14 schon wissen, was sie wollen, das ist aber nicht die Mehrheit. Wir sollten ein Orientierungsjahr für alle schaffen. Danach sollte jeder die Möglichkeit haben, das zu vertiefen, wo die Talente, Interessen, Zukunftserwartungen liegen. Ohnehin ist auch das erste Jahr in den Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) noch ein Weichenstellungs-Jahr. Wir sehen, dass sich viele in diesem Jahr noch anders entscheiden.
Wie viel Prozent der Wiener Schüler sind in Mittelschulen, wie viele in AHS, wie viele machen Matura?
In den vergangenen Jahren haben sich rund 60 Prozent in den AHS angemeldet, 40 Prozent in den Mittelschulen. 95 Prozent der Mittelschüler machen weiterführende Ausbildungen, auch weil es die Ausbildungspflicht bis 18 gibt. Das muss aber keine Schule, es kann auch eine Lehre sein. In den BHS kommt der Großteil der Schüler aus den Mittelschulen. Die müssen wechseln, während das nur 20 Prozent der AHS-Schüler tun. Auch Mittelschüler kommen zur Matura, so schlecht kann die Mittelschule also nicht sein.
Heinrich Himmer (43) ist in Wien-Simmering aufgewachsen und hat Wirtschaftspädagogik (WU) und Global Education (PH) studiert. Er ist Mediator und Teammanager (Uni Wien), absolvierte Ausbildungen zu Internationalem Transport (London Metropolitan University) und Internationalem Marketing (Nationale Wirtschaftsuniversität Kiew). Seit 2017 führt Himmer die Wiener Schulbehörde, zuerst als Stadtschulratspräsident und nach der Umwandlung der Behörde 2018 nun als Bildungsdirektor.
Bei Fragen rund um Schulplätze in Wien wendet man sich an die Bildungsdirektion:
Tel. 01/525 25
E-Mail: office@bildung-wien.gv.at
Website: www.bildung-wien.gv.at
Restplätze für humanberufliche Schulen gibt es im Internet unter www.humwien.at.