Lässt sich ein Sieg des FPÖ-Kandidaten noch verhindern - und wenn ja, wie? Eine Analyse.
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Wien. Lagerwahlkampf. Kaum stand das Duell Norbert Hofer gegen Alexander Van der Bellen für die Stichwahl am 22. Mai fest, war das Wort in aller Munde. Lagerwahlkampf: Die einen beschleicht allein schon bei der Vorahnung ein ungutes, mulmiges Gefühl, andere wiederum fiebern dieser emotionalen Zuspitzung geradezu entgegen.
Dass es tatsächlich zu einem Die-gegen-Wir-Wahlkampf kommen wird, ist wahrscheinlich. Dabei hätten beide Kandidaten guten Grund, ein solches Szenario zu fürchten. Wenn die Emotionen hochkochen, können auf jeder Seite leicht Fehler passieren, die den Sieg kosten können.
Match mit umgedrehten Vorzeichen
Das Match Hofer gegen Van der Bellen kommt nicht unerwartet, wenngleich es nun unter gänzlich anderen Vorzeichen stattfindet: Mit 14 Prozentpunkten Vorsprung ist es der FPÖ-Kandidat, der angesichts einer seit Jahrzehnten stabilen Mehrheit rechts der Mitte die deutlich besseren Karten in Händen hält. Ein Sieg Van der Bellens ist deshalb unwahrscheinlich, aber eben auch nicht unmöglich.
Eine simple Aufsplittung des Wahlergebnisses nach dem - zugegeben so oberflächlichen wie problematischen - Dualismus von links (SPÖ- und Grün-Wähler) und rechts (FPÖ-, Griss-, ÖVP- und Lugner-Wähler) sähe Hofer mit 67 zu 33 Prozent uneinholbar voran. Allerdings lassen sich die rund 19 Prozent Griss-Wähler nicht über einen Kamm scheren. In der Flüchtlingsfrage etwa sprach sich die ehemalige Höchstrichterin gegen eine Obergrenze aus und hielt auch weitere 90.000 Neuankömmlinge ohne Notstand für bewältigbar. Nicht einmal die 11 Prozent Khol-Wähler lassen sich für die Stichwahl geschlossen dem Hofer-Lager zurechnen, wobei das allerdings auch für die Hundstorfer-Wähler in Bezug auf Van der Bellen gilt.
Zumal es noch die Option politischer Enthaltsamkeit gibt: Am Sonntag lag die Wahlbeteiligung bei 68,5 Prozent und damit - trotz großer Kandidatendichte und ausuferndem TV-Wahlkampf - unterhalb jener des Jahres 2004. Bei der Stichwahl könnte die Beteiligung also weiter nach unten gehen, wenn sich etliche der Wähler von Griss, Khol, Hundstorfer und Lugner nun nicht zwischen Hofer und Van der Bellen entscheiden wollen (oder können).
Geld ist wichtig,aber nicht alles
Und dann gibt es auch noch die materielle Seite eines Wahlkampfs: Stimmenwerben kostet Geld, viel Geld. Auf den ersten Blick dürfte die FPÖ über die deutlich üppigere Wahlkampfkasse verfügen. Immerhin fährt sie seit Jahren Wahlsieg um Wahlsieg ein, was die Mittel aus den diversen Förderkassen sprudeln lässt.
Andererseits gilt sogar in der Politik der Satz, wonach Geld nicht alles ist. Irmgard Griss hat bewiesen, dass man auch mit wenig viele Stimmen gewinnen kann. Zudem werden sich womöglich neue Kanäle für Van der Bellens Kampagne öffnen; etwa, dass einzelne Vorfeld- und Bezirksorganisationen der SPÖ und Gewerkschaften nun für den Grünen laufen. Das gleiche Motiv könnte Spender überzeugen.
Bleibt die Frage, wie die Kandidaten selbst ihre Kampagnen für die Stichwahl anlegen. Dass Hofer am Sonntag Van der Bellen so deutlich distanzieren konnte, dürfte allenfalls fertige Konzepte über den Haufen werfen. Gut möglich daher, dass beide Parteien ihre Strategie erst noch entwickeln müssen. Die Rollenverteilung ist dabei klar: Van der Bellen muss aufholen, er ist jetzt der Außenseiter, Hofer der Favorit, der sich darauf beschränken kann, Fehler zu vermeiden und seiner bisherigen Linie einfach treu zu bleiben. Hinzu kommt die besondere Dramaturgie der letzten Wochen: Hofer wurde anfangs als chancenlos abgeschrieben; in der Folge zeigten seine Werte beständig nach oben, um am Wahltag einen fulminanten Wahlsieg zu feiern. Genau umgekehrt die Erzählung Van der Bellens, der von den Medien beharrlich als Geheimfavorit hochstilisiert wurde, dessen Zustimmungswerte sich zuletzt aber im Sinkflug befanden.
Die Erfahrung der letzten Jahre spricht dafür, dass bis zum 22. Mai auf Emotionalisierung und Zuspitzung gesetzt werden wird. Das heißt bei den einen dann "Schulterschluss" gegen Rechtsaußen und "Jetzt erst recht" gegen "die da oben" bei den anderen. Das hat zuletzt bei der Wiener Landtagswahl im Herbst 2015 für die SPÖ erstaunlich gut funktioniert. Ob sich das für die Grünen so einfach wiederholen lässt, ist allerdings fraglich.
Das stärkste Gegenargument lautet: das urbane Wien tickt politisch deutlich anders als Gesamt-Österreich. Eine inhaltliche Polarisierung nach dem Links-/Rechts-Schema würde demnach vor allem dem FPÖ-Kandidaten nutzen. So gesehen müsste Van der Bellen in Fortsetzung seiner bisherigen Kampagne - Stichwort Heimat - einen klassischen Wir-Wahlkampf führen und sich als bundesweite Integrationsfigur in Szene setzen, die Gräben überwindet und keine neuen aufreißt.
Aber wird das reichen, damit ein ehemaliger Grünpolitiker auf 50 Prozent plus eine Stimme kommt? Zumal es zweifellos FPÖ-Gegner vom linken Rand geben wird, die für lautstarke Schlagzeilen sorgen werden.
Auf der anderen Seite kann vor allem einer einen zum Greifen naheliegenden FPÖ-Sieg verhindern: Hofer selbst (oder sonst ein FPÖ-Politiker), wenn er die Grenzen des Zumutbaren austestet. Zwar stimmt schon, dass die Wähler von SPÖ und ÖVP - endgültig oder nur vorläufig - die Nase voll haben, aber gleichzeitig hat wohl eine Mehrheit Mindestanforderungen an die Person, die das höchste Amt im Staat bekleidet. Hofer muss sich als mehrheitsfähig beweisen. Dass er die relative Mehrheit gewinnen kann, hat er am Sonntag gezeigt. Die absolute Mehrheit ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung.
Die nächsten Wochen versprechen viel Spannung - historisch ist das Ergebnis jetzt schon.