Das Bild des muskulösen Mannes, der mit harter Miene, geballter Faust oder dem Finger am Abzug eines Gewehres seine Probleme löst, ist längst obsolet. Das "starke Geschlecht" zeichnet sich am Beginn des 21. Jahrhunderts durch Verständnis und Einfühlungsvermögen aus.
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Franz S. ist Lagerarbeiter, verheiratet und Vater einer 17-jährigen Tochter. Manchmal fällt es ihm schwer die Probleme seiner Tochter nachzuvollziehen und zu verstehen. In derartigen Situationen beginnt er zu toben. "Das Mensch soll was lernen und keinen Blödsinn machen," schreit er, meistens auch unter der Einwirkung einiger Flaschen Bier. Einmal hat er ihr sogar eine Ohrfeige gegeben.
Doch vor einiger Zeit verlor der Mann seine Beherrschung gänzlich: Als es wegen anstehender Schulprobleme wieder zu einer lautstarken Auseinandersetzung kam, schlug der Mann mit der Faust ins Gesicht seiner Tochter und brach ihr dabei das Nasenbein. Das Jugendamt hat daraufhin veranlasst, dass der Mann die eheliche Wohnung verlässt und die Bedingung gestellt, dass er zumindest ein Jahr lang eine Therapie besuchen muss, bevor über seine Rückkehr in den gemeinsamen Haushalt nachgedacht werden könne.
Der Arbeiter hatte selber eine schwere Kindheit und wurde nach eigenen Angaben von seinen Eltern sehr oft geschlagen. Franz S. ist das Unrecht seiner Handlung mittlerweile bewusst geworden und er besucht regelmäßig die Männerberatungsstelle. Ihm ist die Zusammenarbeit zwischen seiner Frau, seiner Tochter und dem Jugendamt sehr wichtig, denn schließlich möchte er wieder im Kreise seiner Familie leben.
Der Mann konnte mit Hilfe einer Psychotherapie und durch Beratungsgespräche bei der Wiener Männerberatungsstelle wieder zu seiner Ehefrau und seiner Tochter zurückkehren.
Beratungsstelle für Männer seit 1985
Die Beratungsstelle für Männer in Wien ist die am längsten existierende Einrichtung dieser Art im deutschsprachigen Raum, sie wurde 1985 gegründet. Die Institution war von Anfang an mit dem Problem gewalttätiger Männer konfrontiert. Die positiven Erfahrungen, die sowohl die Mitarbeiter als auch jene Männer gemacht haben, denen diese Organisation erfolgreich geholfen hat, bildete die Grundlage dafür, dass sich die meisten Männer entschieden haben, Präventions- und Bewusstseinsarbeit zu leisten, um damit in nächster Zukunft die Zahl gewalttätiger Männer einzudämmen
Im Jahre 2000 entschloss man sich seitens der Wiener Männerberatungsstelle an der White Ribbon-Kampagne teilzunehmen. Diese Bewegung wurde 1992 in Toronto gegründet. Der Anlass war damals der Jahrestag eines Massakers, das ein Student an der Universität Toronto angerichtet hatte: Er erschoss 14 seiner Kolleginnen. Nach dieser unfassbaren Gewalttat entschlossen sich einige Männer ihre Ablehnung von Gewalt an Frauen öffentlich zu zeigen, in dem sie weiße Schleifen - White Ribbons - am Revers ihrer Jacken oder Sakkos trugen.
Schon die erste Gewalttat verhindern
Nur einige Wochen später trugen bereits Hunderttausende Männer jenes Symbol, das ihre gewaltlose Einstellung gegenüber Frauen manifestieren sollte. "Unser Ziel ist die Umsetzung von Bewusstseinsarbeit, um einen Beitrag zur Vorbeugung von Gewalt zu leisten," erläutert Romeo Bissuti, der Ansprechpartner der White Ribbon-Kampagne in Österreich. Die Bemühungen der Institution verfolgen das Ziel, schon die erste Gewalttat zu verhindern. Man bezeichnet diesen Vorgang auch als "Primärprävention".
In der "Sekundärprävention" wird versucht, durch intensive Beratungstätigkeit weitere tätliche Übergriffe von Männern, die schon einmal gewalttätig geworden sind, zu verhindern. "In der "Tertiärprävention" bieten wir Männern, die sich in einem Gewaltkreislauf befinden, die Möglichkeit auszusteigen," klärt Bissuti auf.
Öffentlichkeits- und Bewusstseinsarbeit bedeutet für die Kampagne "White Ribbon" konkret die Verhinderung von Gewalt, die Männer Frauen und oft auch Kindern angedeihen lassen. Dieses Problem positionieren wir in den Medien als Männerthema. "Männer, die den "White Ribbon", ein Emblem mit der Darstellung eines weißen Bandes tragen, bekennen sich dazu, Frauen und Kindern niemals mit Gewalt zu begegnen.
Noch viel Arbeit
Doch ein Blick in den österreichischen Gewaltbericht verrät, wie viel Arbeit der Kampagne noch bevorsteht, wenn jedes Jahr zwischen 150.000 und 300.000 Frauen Opfer tätlicher Übergriffe von Männern werden. Diese Zahlen verdeutlichen das Schicksal jeder fünften bis zehnten Frau in Österreich.
"White Ribbon" will soviel Männer wie möglich in allen Staaten der Erde ansprechen, um sie in die große Gemeinschaft jener Männer zu integrieren, die Gewalt an Schwächeren verabscheuen. Die Öffentlichkeitsarbeit ist nicht das einzige Betätigungsfeld der Kampagne.
Workshops zur Arbeit mit Burschen werden ebenso angeboten, wie Benefizveranstaltungen, Diskussionen und Vorträge. Prominente Österreicher aus den Bereichen Sport, Medien und Kultur, wie Frank Hoffmann, Leo Lukas oder Hans Krankl, um nur einige zu nennen, konnten als Repräsentanten gewonnen werden.
Erst wenn kein Mann mehr eine Frau oder ein Kind schlägt, hat "White Ribbon" sein endgültiges Ziel erreicht. Trotzdem dieses Ziel in weiter Ferne steht, gibt es viele Männer, denen eine Veränderung des traditionellen Rollenbildes wichtig ist, und die sich aktiv an dieser Veränderung beteiligen.
Weitere Informationen: http://www.whiteribbon.at