Das Hauptthema beim heurigen Forum Alpbach ist aktueller denn je.
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Das Forum Alpbach begibt sich auf die Suche nach einer "neuen Aufklärung". Trotz des antiquierten Klangs hätte sich kaum ein aktuelleres Thema finden lassen. Denn sind wir nicht umgeben von alten und neuen Obskurantismen? Rechtsextreme Gegenaufklärer beschwören die Geister des Chauvinismus und Rassismus. Religiös indoktrinierte Massenmörder sprengen Ungläubige in die Luft. Politische Affektbewirtschafter schüren Angst, Neid und Hass und sprechen der Bevölkerung damit jegliche Vernunftanlage ab. Was tun? Müssten nicht die Fenster aufgestoßen werden, um das "Licht der Vernunft" in die dunkle Stube geistiger Verengung und politischer Mutlosigkeit einzulassen?
Eine neue Aufklärung also. Neu müsste sie sein, denn Aufklärung wurde schon lange kritisiert: für ihren Eurozentrismus, ihren Elitismus, ihren Vernunftterrorismus.
Sie müsste daher zuerst Aufklärung über sich selbst sein, also über ihre eigenen unhinterfragten Grundlagen. Heute beginnt Aufklärung mit Selbstaufklärung. So lässt sich kaum noch davon ausgehen, dass ausschließlich Intellektuelle, Experten und Technokraten von Vernunft erleuchtet wären - während alle anderen verblendet oder kulturell zurückgeblieben wären. Es gibt nichts Unaufgeklärteres als diese Vorstellung. Aufklärung kämpft gegen Borniertheit - und zuallererst gegen die eigene. Das bedeutet auch einzugestehen, dass nichts gleichmäßiger verteilt ist als die Vernunft - oder die Unvernunft. Das gilt für Hochschulen wie für Sportvereine, für Parlamentsdebatten wie für Straßenproteste.
Aufklärung hat also nur als demokratisches Projekt Sinn. Als Projekt ohne Anspruch auf ein Vernunftmonopol. Wo Aufklärer herabblicken auf die ungebildeten Massen von sozial und geistig Abgehängten, dort haben wir es nicht mit Aufklärung zu tun, sondern mit Klassenkampf von oben. Das ist zugleich der Grund, weshalb "Appelle an die Vernunft" im Regelfall ins Leere laufen. Die Angesprochenen spüren die Arroganz der Besserwisser. Sie ahnen, dass mit Vernunftappellen ein Status quo verteidigt wird, der sie benachteiligt und - aus ihrer Sicht - keineswegs vernünftig ist. Die Erfolge des europäischen Rechtspopulismus oder der Brexit-Kampagne sind nicht dem mangelnden Durchblick der Wählerschaft geschuldet. Sie sind Ausdruck kalkulierter Notwehr jener, denen politische Alternativen fehlen.
Deshalb muss demokratische Aufklärung auch als ein politisches Projekt verstanden werden. Eine neue Aufklärung muss ein politisches Programm entwerfen, das eine Alternative zu Autoritarismus und Neoliberalismus formuliert. Denn die neoliberale Politik der Austerität, Deregulierung, Privatisierung und Entsolidarisierung hebelt die sozialen Grundlagen der Demokratie aus. Die Verwüstungen, die sie hinterlässt, sind der Nährboden für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Die Antwort kann nur in der Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte der Demokratie bestehen: auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Auf Werte, die aus der historischen Aufklärung hervorgegangen sind. Eine neue Aufklärung müsste sie reaktualisieren. Letztlich liefe sie auf nichts weniger hinaus als auf die Demokratisierung der Demokratie.
Oliver Marchart ist Universitätsprofessor für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.