Spätestens seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 stellt sich die Sinnfrage des heimischen Parlamentarismus auf Bundes- und Landesebene. Viele der grundsätzlichen Entscheidungen für die nationale Gesetzgebung werden seit nunmehr bald 15 Jahren in Brüssel getroffen. Der frühere deutsche Bundes- und Verfassungsgerichtshofpräsident Roman Herzog beziffert dies mit 80 Prozent der Materien, für die die EU die Rahmenrichtlinien vorgibt und die quasi im Rank-Xerox-Verfahren in National- und Bundesrat und in den Landtagen mit der einen oder anderen Ausschmückung kopiert werden.
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Besonders gravierend wirkt sich dies bei den Landtagen aus, die ohnehin mangels voll ausgeprägter föderalistischer Struktur - wie es sie etwa in der Schweiz gibt - schon seit Gründung der Republik 1918 und seit Inkrafttreten der Kelsen-Verfassung 1920 an Kompetenzarmut litten. Die schleichende Zentralisierung durch bundes- und europapolitische Vorgaben und das immer stärker werdende Übergewicht auch an Sach- und Entscheidungskompetenz der Exekutive gegenüber der Legislative taten ein Übriges. Dennoch wird versucht, diesen entkernten Fassadenföderalismus aufrecht zu erhalten. Man hält krampfhaft an den wenigen verbliebenen genuinen Bereichen der Landesgesetzgebung fest - für viel mehr als das Jagd- und Fischereirecht wird es aber bald nicht mehr reichen.
Vertreter der "reinen Föderalismus-Lehre" bezeichnen die eigene Gesetzgebungskompetenz als Wesensmerkmal des Bundesstaates und halten den Verzicht darauf für eine Selbstkastration. Dennoch sollten die Bundesländer darauf verzichten - das ist jetzt kein Vorschlag eines bösen Zentralisten, sondern der eines überzeugten und besorgten Föderalisten. Wenn die Landtage ihre Aufgabenstellung nicht radikal hinterfragen, werden es Zeitgeist und öffentliche Meinung zwangsläufig in Richtung Legitimitätsfrage tun.
Es geht nicht um die Abschaffung der Bundesländer und deren unbestritten und unverzichtbar identitätsstiftende Bedeutung, sondern um eine intelligente Neudefinition der Aufgaben. Überall - verstärkt auch in ehemals zentralistisch regierten Staaten - gibt es Regionalparlamente, die die Anliegen ihrer Bereiche artikulieren. Eine lebendige Diskussion und starke Positionierung regionaler Erfordernisse, eine wirksame Kontrolle der Landesregierungen und vor allem auch eine echte Mitwirkung an der Willensbildung im Gesetzgebungsverfahren des Bundes, aber auch an den europäischen Angelegenheiten (hier würde ja der Lissabon-Vertrag neue Möglichkeiten eröffnen) könnten anzustrebende neue Aufgabenfelder für die Landtage sein.
Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP-Steiermark) und Mitinitiator des Österreich-Konvents.