Auch innerhalb der Europäischen Union wirken Selbstentzündungskräfte, die schleunigst entschärft werden müssen.
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Die Europäische Union steht zweifellos vor einigen Bewährungs- und Zerreißproben. Nicht zuletzt deshalb braucht es ein paar grundsätzliche Klarstellungen. Fest steht: Es sind nicht nur Brandstifter von außen, sondern auch innerhalb der EU wirken Selbstentzündungskräfte, die schleunigst entschärft werden müssen. Viele Kritikpunkte an der entweder konservativen oder neoliberalen Politik der Union sind berechtigt. Aber eine fortschrittliche europäische Politik braucht in einigen Bereichen das gemeinsame und vertiefte Vorgehen.
Im Zentrum steht die Kompetenz-Frage: Wo brauchen wir mehr gemeinsame europäische Politik, wo soll die Union Kompetenzen abgeben? Wo wir mehr Gemeinsamkeit und Verbindlichkeit brauchen, ist klar: im Kampf gegen Steuerbetrug und -vermeidung, gegen Spekulation und in einigen weiteren wirtschafts- und währungspolitischen Fragen. Auch in der Sozialpolitik wird man - in Abhängigkeit von den nationalen Niveaus - nicht um die Einführung von Mindeststandards umhinkommen.
Völlig verfehlt hingegen ist die Aufregung einiger darüber, dass die Parlamente der Mitgliedstaaten in Sachen Ceta/TTIP ihr Recht auf Mitbestimmung einfordern. Der Vertrag von Lissabon gibt der EU Kompetenzen im Außenhandel. Das ist sinnvoll, wenn es etwa darum geht, Zölle abzubauen. Ceta, TTIP und auch Tisa wollen über weite Strecken aber viel mehr: Sie sind in deutlicher Tendenz Regulierungs-, Standardsetzungs- und Investitionsabkommen. Solche Abkommen können theoretisch sinnvoll sein, greifen aber in nationale, regionale und kommunale Kompetenzen ein. Das darf man alles wollen, ist aber mit dem Lissabon-Vertrag sicher nicht alleinige EU-Kompetenz. Da hilft es auch nichts, wenn man diese Abkommen "neueren Typs" behübschenderweise als "Freihandelsabkommen" verkleidet. Und es ist nicht einzusehen, dass hier von Südportugal bis Nordskandinavien alles gleichgeschaltet sein muss. Noch dazu über die Hintertür völkerrechtlicher Verträge. Investitionsschutzsysteme und die dazugehörigen Schiedsinstanzen, die auch in Ceta weit weg vom Standard eines internationalen Handelsgerichtshofes sind, greifen in den Handlungsspielraum von Gesetzgebung und Exekutive ein.
Die immer öfter vernehmbare Behauptung, dass es sich bei Ceta um eine reine Unionsangelegenheit handelt und es nur ein "freiwilliges" Entgegenkommen wäre, wenn die Parlamente der Mitgliedstaaten letztendlich die Ratifikation vornehmen, ist juristisch unrichtig und insbesondere politisch unklug. Das ganze Getue um den "Beipackzettel" zu Ceta ändert nichts daran, dass letztendlich die Buchstaben des Vertrags gelten. Und diese besagen eben, dass die unnotwendigen Schiedssysteme samt Klagsprivilegien für große Wirtschaftsunternehmen sowie die Aufweichung des Vorsorgeprinzips gelten. Die österreichische Regierungsspitze hat die verfassungsrechtliche Bindung von Nationalrat, Bundesrat und den Bundesländern durch ihre Zustimmung zu Ceta gebrochen. Es ist also gut, wenn anlässlich der Ratifizierung eine transparente Entscheidung im Nationalrat getroffen wird. Und nur ohne Tricksereien wird die Politik der Union Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können.