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Es ist kein Fehler, wenn sich die Menschen von der Politik verstanden fühlen.
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Im Vorfeld der Wiener Kommunalwahlen mehren sich plötzlich die Stimmen, die eine inländerfreundlichere Politik fordern. Außenminister Sebastian Kurz, der Jungstar der ÖVP, tritt für eine Reduzierung der ins Ausland gehenden Kinderbeihilfen ein. Die Wiener SPÖ möchte die Zuweisung von Gemeindewohnungen stärker auf Einheimische ausrichten. Und natürlich wird bei derartigen durchsichtigen Manövern sofort der Vorwurf des Populismus laut.
Das ist ein Muster, das seit etwa einem Vierteljahrhundert stets in ähnlicher Weise abläuft. Der Graben zwischen den "elitär Progressiven" und einem wachsenden Sektor der Wählerschaft scheint dabei immer tiefer zu werden, und Angst paart sich mit Verachtung. Ein sonst schätzenswerter Literat ging jüngst sogar so weit, einen Politiker der rechten Opposition als bellenden Hund zu porträtieren (wohl in Anspielung auf den Slogan, dieser spreche als Einziger die "Sprache des Volkes").
Wie kam es zu dieser Zuspitzung? Am Beispiel Wiens lässt sich zeigen, dass die basisdemokratische Welle der 1970er im Rückblick eigentlich durchaus schätzenswerte Ergebnisse erbrachte. Vom Sternwartepark (1973) bis zu den Steinhofgründen (1981) zeigten die Wiener Stimmbürger eine Präferenz für gefährdetes Grün in der Großstadt. Von der Ablehnung einer Verlängerung des Flötzersteigs mittels Stelzenbrücke zur Westeinfahrt (1980) bis zum Votum gegen die für 1995 geplante Weltausstellung in Wien (1991) zeigten sie Distanz zu Lieblingsvorhaben der Baulobby. Danach kam es aber zu einer fast 19-jährigen Pause in der Nutzung des Befragungsinstruments, und die Befragungen von 2010 und 2013 waren sehr "vorsichtig". Nicht nur in Wien, auch anderwärts (etwa im Streit um das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21") wurde deutlich: Großbaufirmen, Investoren und andere Bauinteressenten haben heute eindeutig die Oberhand gewonnen und scheinen wenig interessiert an Volksentscheiden. Permanente Inseratenkampagnen halten potenziell kritische Medien ruhig, und die vielfach zu Neoliberalen gewendeten, mittlerweile ins Rentenalter abdriftenden Alt-Achtundsechziger haben ihr Scherflein zu einer abschätzigen Sicht der Bevölkerungsmehrheit beigetragen. Statt von Bürgerinitiativen im positiven Sinn spricht man im öffentlichen Diskurs heute gerne von "Wutbürgern", und populäre Forderungen, selbst wenn sie sinnvoll sind (etwa das Foto auf der E-Card), werden mit dem Schimpfbegriff "populistisch" etikettiert. Mit Schrecken stellt der Verfasser dieser Zeilen fest, dass er sich zwar stets auf der Seite des maßvollen Fortschritts gesehen hat, dass aber heute sein Anliegen, mehr direkte Demokratie zu wagen, wenn überhaupt, nur noch weit rechts vertreten wird. Und auch in der Führung der EU ist die Idee, die Mitbestimmungsrechte der Bürger zu stärken, nicht wirklich attraktiv.
Das ist eine gefährliche Tendenz. Bruno Kreisky wollte Politik für "die Menschen da draußen" machen, und sie fühlten sich von ihm verstanden. Das war vielleicht auch Populismus, aber glaubwürdig. Wer jedoch der Volksmeinung mit grundsätzlichem Misstrauen gegenübersteht, wird auch durch einige taktische "Wahlversprecher" in Richtung Populismus nicht überzeugender.