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Für Engagement statt Vorschrift

Von Alexandra Grass

Politik

"Schule kann nur so gut sein wie die Lehrer. Deshalb braucht es eine Selektion."


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"Wiener Zeitung": Seit schier unendlichen Zeiten wird über nötige Veränderungen im Bildungsbereich diskutiert. Sie haben selbst im vergangenen Jahr mit dem Bildungsvolksbegehren Ihren Beitrag dazu geleistet. Warum hapert es bei der Umsetzung?

Hannes Androsch übt weiterhin Druck auf die Bildungspolitik aus.
© © Stanislav Jenis

Hannes Androsch: Weil die Wagenburg der Verhinderer noch nicht gestürmt ist, wenngleich sie zunehmend zu wanken begonnen hat. Das kann man daran ermessen, dass nicht zuletzt wegen der jahrzehntelangen positiven Erfahrungen in Südtirol der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter in Tirol versuchsweise eine ganztägige Gesamtschule einführt. So wie die Diskussionen der vergangene Tage zeigen, soll die Ganztagsschule jetzt umgesetzt werden. Warum? Weil endlich die ideologischen Barrieren zunehmend einbrechen und der Tatsache Rechnung getragen wird, dass ein Großteil der Eltern berufstätig ist. Ganz zu schweigen von den Alleinerzieherinnen.

Umgesetzt wurde noch kein Punkt des Bildungsvolksbegehrens, es handelt sich um erste Schritte?

Das sind erste Schritte: Die Ganztagsschule, die Reform Lehrerausbildung und andere erste Ansätze, dieses hypertrophe Schulorganisationssystem zu ändern. Man sieht, dass der öffentliche Druck in den vergangenen zwei Jahren doch etwas bewirkt hat.

Glauben Sie, dass wenn Ihr Sohn seine Ausbildung beendet hat, sich etwas getan hat?

Mein Sohn wird in knapp drei Jahren die Matura machen. Es wird ihn nicht mehr besonders berühren, außer die Zentralmatura. Wobei es wenig verständlich ist, dass man das noch ein Jahr aufgeschoben hat. Offensichtlich hatten nachhinkende Lehrer Angst. Denn die Zentralmatura ist auch eine Qualitätsprüfung des Unterrichts und der Schulen. Entweder senkt man das Niveau so, dass alle durchkommen, dann wäre sie fast wertlos. Oder man setzt die Anforderungen sehr hoch an, was notwendig wäre, dann würde die Qualitätsprüfung oft fürchterlich ausfallen.

Wie sieht die Lösung aus?Die Schulen haben jetzt jahrelang Zeit gehabt, um sich auf die Zentralmatura einzustellen. Und wo waren da alle Schuldirektoren oder Bezirksschulinspektoren oder Landesschulinspektoren und Landesschulpräsidenten, um das, was notwendig wäre, nicht zu gewährleisten? Das zeigt, wie unsinnig unser ganzes Schulorganisationssystem ist. Jetzt hat man noch genügend Zeit, sich um die Schüler zu kümmern, um ein entsprechendes Maturaniveau erreichen zu können. Und nicht um die Eigeninteressen des Berufsstandes. Und schon gar nicht um die parteipolitischen.

Wie stehen Sie zur Idee der mittleren Reife?

Dagegen ist nichts zu sagen, vorausgesetzt, dass man den Inhalt vorgibt. Dieser muss darin bestehen, sicherzustellen, dass nicht 25 Prozent der 15-Jährigen praktisch Analphabeten sind und in der Folge keine Berufsausbildung erfahren. Wir reden dabei von mehr als 70.000 jungen Menschen, die so zu Sozialhilfeempfängern von morgen werden. Es ist absurd, dass man diskutiert, ob 80 Millionen zusätzlich für den Ausbau der Ganztagsschulen aufgebracht werden können. Wenn man gleichzeitig in die inhaltlich nicht wirklich stattfindenden Umschulungen für 72.000 Menschen zwei Milliarden Euro hineinpulvert und noch einmal 650 Millionen, um jene, die nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können, in eine Lehrausbildung zu bringen. Das ist zusammen der Betrag, den wir für alle unsere 21 Universitäten ausgeben. Für insgesamt 300.000 Studenten.

Wie kann garantiert werden, dass eine Ganztagsschule das schulische Programm gänzlich abhandelt und die Kinder danach Freizeit haben?

Die verschränkte Ganztagsschule muss das inkludieren. Die Schule kann aber nur so gut sein wie die Lehrer. Also braucht es auch eine entsprechende Selektion bei der Lehrerausbildung. Zum Lehrberuf gehört auch die pädagogisch-didaktische Fähigkeit und die Begeisterung, mit jungen Menschen zu arbeiten. Dabei geht es weniger um das Einbläuen von Wissen, sondern vor allem um die Vermittlung der Fähigkeit, Wissen zu erwerben, um Probleme zu lösen.

Warum ist eine Göttinger Ganztags-Gesamtschule von der Bertelsmannstiftung (die Georg-Christoph-Lichtenberg Gesamtschule, Anm.) im Jahr 2011 als die beste Schule Deutschlands ausgewählt worden? Weil sie das erfolgreich beherrscht. Als Vorzeigeschulen sind hier auch die Schule Schloss Salem am Bodensee in Baden-Württemberg und die Neue Mittelschule Klusemannstraße in Graz anzuführen.

‚Mangelt es am Wissen der Lehrer über solche Möglichkeiten, am System, dass Lehrer das in der öffentlichen Schule umsetzen können, oder mangelt es an Bildungszielen?

Wir haben etwa 120.000 Lehrer, die aber leider wegen des Schulsystems zu einem nicht geringen Teil gar nicht im Unterricht sind. Wir müssen den Schulleitern und Lehrern bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mehr Autonomie einräumen - auch zur Disziplinierung. Die Ganztagsschule wird es leichter machen, Disziplin sicherzustellen. Wichtig ist auch, das antiquierte Dienstrecht der Lehrer zu adaptieren. Man muss das Besoldungsschema dahin gehend ändern, dass man den Junglehrern mehr zahlt. Es müssen Schulzentren geschaffen werden, um eine optimale Infrastruktur für Schüler und Lehrer sicherzustellen. Bei der Reform unseres Bildungssystems von der Vorschule bis zur Matura muss vor allem darauf geachtet werden, dass kein Talent zurückbleibt. Nach dem Grundprinzip Fordern und Fördern. Die Talente unserer jungen Menschen sind der wichtigste Rohstoff in einer Gesellschaft.

Besteht in der Ganztagsschule eher die Möglichkeit, das Fächerkorsett aufzuschnüren und wegzugehen von 50-Minuten-Einheiten?

Diese haben wir aus dem preußischen Kasernenhof von Friedrich II. übernommen. Hier wäre es höchste Zeit, dass man den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen auch bei uns Rechnung trägt.

Vereinzelt gibt es Schulen oder Lehrer, die mit großem Engagement Dinge umsetzen, die viele im normalen Unterricht als nicht möglich sehen. Warum nur vereinzelt?

Wir haben sehr viele gute Lehrer. Aber verkrustete Verhältnisse und mangelnde Freiheiten der Schulleitungen. Damit nimmt man den Lehrern das Engagement, was dazu führt, dass Dienst nach Vorschrift gemacht wird und wir gleichzeitig einen riesigen Nachhilfemarkt in der Größenordnung von 160 Millionen Euro haben. Mit dem Geld könnte man in einem vernünftig strukturierten Schulsystem viel erreichen. Der Grund, warum das noch nicht erfolgt ist, ist ideologische Borniertheit, personalpolitische Machtbesessenheit und eine inakzeptable Verteidigung von Privilegien einzelner Interessensvertretungen.

Warum beschäftigt Sie das Thema Bildung so intensiv?

Weil das unsere Zukunft ist - nicht mehr die eigene in meinem fortgeschrittenen Alter, aber die der Kinder und Enkel. Wir investieren zu wenig in die Zukunft. Das gilt für das Bildungswesen, für die Universitäten, Wissenschaft und Forschung. Da haben wir ein kurzsichtiges Denken.

Wie wird es um die Schüler stehen, wollte sich in den nächsten Jahren am System nichts ändern?

Das wäre eine Katastrophe, weil wir noch weiter zurückfallen würden. Bei Pisa sind wir schon am vorvorletzten Platz. Gerade noch knapp vor der Türkei. Wenn wir so weitermachen, werden wir wohl bald von unserem Wohlstand und unserer Wohlfahrt Abschied nehmen müssen.

Sind Sie optimistisch, dass in den nächsten Jahren doch wesentlich etwas weitergeht?

Wie sich zeigt, wenn man Druck macht, entsteht Bewegung. Noch nicht genug Bewegung, wie das Bildungsvolksbegehren zeigt, aber immerhin. Aus dem ursprünglichen Stellungskrieg der ideologisch verhärteten Fronten ist immerhin ein Bewegungskrieg geworden. Jetzt darf man den öffentlichen Druck nicht verringern, im Gegenteil. Ich würde mir wünschen, dass jene, um die es geht, sich massiver für ihre Interessen einsetzen. Die berufstätigen und alleinerziehenden Mütter, ebenso aber auch engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Sie alle sollten den Mut aufbringen, neue Wege in der Bildung zu gehen. Natürlich sollten auch die Eltern und Großeltern verstärkt Druck machen im Interesse ihrer Kinder beziehungsweise Enkelkinder.

Wo sehen Sie das Schulsystem in zehn Jahren?

Auf einem anderen, höheren und effektiveren Niveau. Das hoffe ich sehr, damit wir im internationalen Vergleich auf dieser Spielfläche vertreten sind und nicht einige Stockwerke darunter - so wie jetzt. Unser Bildungssystem wird entscheiden, ob wir die Zukunft gewinnen oder verlieren werden. Der notwendige Reformprozess ist in Gang gekommen. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass die Wagenburgmauern niedergerissen werden und der Weg frei wird für Reformen. Die Zeit ist überreif.

Podiumsdialog "Lernst du noch oder begreifst du schon?" am 27. November um 19 Uhr im Magna Racino Ebreichsdorf. Podiumsgäste: Hannes Androsch, Manfred Spitzer, Christa Koenne. Karten unter www.oeticket.com.

Zur Person<br style="font-weight: bold;" />
Der ehemalige Finanzminister und Vizekanzler Hannes Androsch (74) ist heute Unternehmer. Im Jahr 2011 initiierte er das Bildungsvolksbegehren und macht seither Druck auf die Politik. Androsch hat zwei erwachsene Töchter, einen 15-jährigen Sohn und drei Enkelkinder.