US-Rabbi Marc Schneier sieht signifikante Fortschritte im interreligiösen Dialog zwischen Juden und Muslimen.
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"Wiener Zeitung": Herr Schneier, Sie gelten als einer der prominentesten Figuren im Dialog zwischen Judentum und Islam. Dieser Dialog ist besonders schwierig. In der islamischen Welt ist der Antisemitismus groß, auch innerhalb der islamischen Bevölkerung Europas. In Frankreich zum Beispiel verlassen mehr und mehr Juden das Land, weil sie Angst vor Muslimen haben. Wie kann es unter solchen Bedingungen eine Verständigung geben?
Marc Schneier: Eben das macht diesen Dialog ja so wichtig. Wir brauchen unsere muslimischen Brüder und Schwestern, um den Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Meine Organisation hat in aller Welt muslimische Geistliche und Politiker gefunden, die sich gegen Antisemitismus aussprechen. Unsere Formel ist sehr einfach: Als Jude habe ich eine Verantwortung, mich gegen Islamophobie auszusprechen, jede Art von Ressentiment gegen Muslime zu bekämpfen. Umgekehrt erwarte ich auch von meinen muslimischen Kollegen, dass sie sich gegen Antisemitismus aussprechen.
Aber passiert das auch wirklich?
Das passiert weltweit, auch in meiner Heimat USA. Die muslimische und die jüdische Community in den USA verbindet heute ein ausgezeichnetes Verhältnis. Die Formel für gegenseitiges Verständnis ist sehr einfach. Sie lautet: Sich für den Anderen aussprechen. Es geht darum, den Anderen als Kind Gottes wahrzunehmen. Mit diesem Zugang haben wir viele Partner gefunden.
Nun gibt es auch viele Menschen, die die Ergebnisse von interreligiösem Dialog kritisieren. Sie seien allzu mager, heißt es. Die Communiques, die veröffentlicht werden, seien bestenfalls Blabla, nach der Art: Friede und Verständigung sind gut, Krieg ist böse.
Ich glaube nicht, dass die Ergebnisse mager sind. Ein Beispiel: Nach dem Massaker in der Synagoge von Pittsburgh im Herbst war es die städtische muslimische Gemeinde, die mehr als 200.000 Dollar für das Begräbnis der elf Opfer bezahlte. Der erste Kondolenzanruf, den ich nach dem Verbrechen erhalten habe, kam vom Minister für Toleranz in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Aber sind diese Reaktionen auch ehrlich? Islamkritiker bemerken, dass es zumindest in Teilen des Islam die sogenannte Taqiya gibt, wo man um Allahs Willen seine wahren Absichten verschweigt.
Solche Dinge findet man in jeder Religion. Die Einstellung vieler Nicht-Muslime, wonach jeder Muslim ein potenzieller Terrorist und jede muslimische Organisation ein Förderer von Fundamentalismus und Terrorismus ist, ist von der Wahrheit weit entfernt. Wir haben das in unseren Veranstaltungen immer wieder erlebt.
Sie arbeiten stark mit den Königsfamilien von Saudi-Arabien, Katar und Bahrain zusammen, und Sie sitzen auch im Vorstand des König-Abdullah-Dialogzentrums KAICIID. Dieses Zentrum, das von den Saudis finanziert wird, hat in Österreich kontroversielle Diskussionen ausgelöst. Schließlich gilt Saudi-Arabien, vorsichtig formuliert, mit seinem streng islamischen Wahhabismus nicht gerade als der toleranteste muslimisch geprägte Staat. Sind Sie nicht einfach nur ein PR-Aushängeschild für ein streng islamisch-konservatives Regime, das damit der Welt zeigen will: Seht her, wir sind ein toleranter Staat?
Erstens ist KAICIID kein Saudi-Zentrum, sondern ein internationales Dialogzentrum unter Beteiligung der Vereinten Nationen. Das wäre so, als würde man zu mir sagen: Wie kannst Du nur mit der UNO zusammenarbeiten? Schließlich ist auch Saudi-Arabien ein Mitgliedstaat. KAICIID ist ein wundervolles Beispiel für geglückten Dialog. Und das nicht nur aufgrund all der Konferenzen und Gespräche, die dort stattfinden, sondern vor allem aufgrund der Programme, die das Zentrum in der ganzen Welt durchführt.
Als Vorbildregion für interreligiösen Dialog kann man die Golfregion aber wohl nicht bezeichnen.
Es gibt dort eine echte positive Veränderung. Fünf der sechs Golfstaaten sind heute im interreligiösen Dialog aktiv. Der erste war übrigens Saudi-Arabien, dessen ehemaliger König Abdullah hier - auch mit dem KAICIID - die Initialzündung gegeben hat. Heute gibt es nicht nur KAICIID in Wien, sondern auch ein von Katar finanziertes Zentrum in Doha, in Bahrain wird ein interreligiöses Zentrum errichtet, auch im Oman und so weiter. Es geht dabei nicht nur darum, miteinander zu reden. Es geht auch darum, ein anderes, neues Gesicht des Islam zu zeigen, ein progressiveres und toleranteres.
Bei allen möglichen Fortschritten: Viele der Golfstaaten erkennen Israels Existenzrecht nicht an...
Noch nicht. Wie es aussieht, werden Ende dieses Jahres zwei Golfstaaten diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen. Diese Länder könnten eine wichtige Mittlerrolle im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern spielen.
Welche Gründe motivieren die Golfstaaten zu einer solchen Politik?
Ein Motiv ist die Wirtschaft. Die Staaten am Persischen Golf wollen ihre Abhängigkeit vom Öl deutlich reduzieren, wollen sich transformieren. Die Politiker dort haben mir mehrfach gesagt, mit unseren Ressourcen und Israels Technologie und Know-how können wir zusammen die wirtschaftsstärkste Region der ganzen Welt werden. Die Saudis betrachten Israel als einen Partner bei dieser Transformation.
Verbindet nicht auch der gemeinsame Feind Iran?
Die existenzielle Bedrohung aus dem Iran ist in der Tat der zweite Grund. Das ist ein gemeinsamer Feind, den Israel und die Golfstaaten teilen. Der Dritte ist der Wunsch der Golfstaaten, ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern. Die Bemühungen der Administration von US-Präsident Donald Trump um gute Beziehungen zu Israel sind dabei übrigens kein Hindernis.
Trump, der als Person ja nicht nur in den USA, sondern auch weltweit sehr stark polarisiert, gilt nun nicht gerade als Mann des Dialogs, besonders, was den Islam betrifft. Ist seine Person bei einem Dialog nicht ein großes Hindernis?
Nein, keineswegs. Ich kann Ihnen sagen, dass sich die Staaten in der Golfregion mit Trump als US-Präsidenten deutlich sicherer fühlen, als es unter dessen Vorgänger Barack Obama der Fall war. Man darf auch nicht vergessen, dass sich Trumps politische Basis aus proisraelischen Christen rekrutiert. Wenn die Golfstaaten gute Beziehungen zu Israel haben, verbessern sich auch die Beziehungen mit den USA.
Zur Person
Marc Schneier (60) ist ein US-amerikanischer Rabbi und Präsident der "Foundation for ethnic understanding". Die NGO kümmerte sich zunächst um einen Dialog zwischen Juden und der schwarzen Bevölkerung in den USA und widmete sich dann der jüdisch-muslimischen Verständigung. Mittlerweile ist Schneier im globalen interreligiösen Dialog prominent tätig. Er spielt auch eine Schlüsselrolle in der Verständigung Israels mit den arabischen Golfstaaten.