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Für Hänschen nicht erprobt

Von Alexandra Grass

Wissen
Um auf die gewünschte Dosis zu kommen, wird einfach heruntergerechnet.
© © Joanna Zielinska - Fotolia

Experten drängen auf gesetzlich vorgeschriebene Arzneimittelstudien.


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Wien. In der gängigen Praxis besteht die Annahme, dass Medikamente bei Kindern ebenso wirken wie bei Erwachsenen. Mit Rücksichtnahme auf Alter und Gewicht wird die für Erwachsene empfohlene Dosis daher zumeist einfach "heruntergerechnet", um zu einer vermutlich adäquaten Verabreichungsmenge zu gelangen. Immerhin sind bis zu 90 Prozent der derzeit eingesetzten Medikamente für Kinder gar nicht zugelassen, erklärte Christoph Male von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Dienstag vor Journalisten. Je jünger die Patienten sind, desto weniger Zulassungen gibt es.

Demnach existiert nur eine Handvoll an Arzneien, die die Ärzte - geht es nach dem Gesetz - verabreichen dürften. Um aus dieser Grauzone herauszukommen, sind Arzneimittelstudien bei Kindern notwendig, betonte Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs). Nach wie vor werden die Erfahrungen mit Medikamenten zwischen den Kinderärzten "zum Teil anekdotisch vermittelt", so Male.

Doch Kinder verarbeiten und verstoffwechseln die Arzneien, auch abhängig vom Alter und aufgrund der Unreife ihrer Organe, ganz anders. Die Palette reicht von Risiken von zu geringer Wirkung, dem Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen bis hin zu massiv toxischen Reaktionen aufgrund einer Überdosierung. Es besteht zusätzlich die Schwierigkeit, dass es sich dabei um einen Lebensbereich vom Frühgeborenen bis zum 18-Jährigen handelt - daher oft mehr als fünf definierte Patientengruppen zu erforschen sind.

Seit fünf Jahren gibt es allerdings eine EU-Verordnung, die Zulassungsverfahren - also Arzneimittelstudien - für Kinder unter strengen Vorlagen zwingend vorschreibt.

Das Problem bestehe allerdings darin, dass solche Studien nicht nur extrem aufwendig und teuer sind, sondern in der Gesellschaft nach wie vor ethisch-moralische Bedenken vorherrschen. "Es braucht ein gesellschaftspolitisches Grundverständnis, dass Studien an Kindern notwendig und wichtig sind", so Huber.

Doch welcher Elternteil möchte, dass sein Kind zum Versuchskaninchen wird? Die Experten sind sich der vorherrschenden Skepsis bewusst und pochen auf vermehrte Aufklärungsarbeit seitens der Ärzte. Einerseits kommen nur kranke Kinder als Probanden in Frage, wobei ein behandlungswürdiges Kind nie ein Placebo verabreicht bekommt. Außerdem seien die Behandlungserfolge bei den jungen Studienteilnehmern meist größer. Die Kinderärzte sind zu umfassender Information gegenüber den Eltern aufgerufen, um mit ihnen die Vor- und Nachteile einer möglichen neuen Behandlung abwägen zu können, wobei die Eltern die Letztentscheidung treffen.

Antibiotikum A oder B

Es geht also darum, sich zum Beispiel zwischen dem bisher üblichen Antibiotikum A, das für Kinder gar nicht zugelassen ist, und dem Antibiotikum B zu entscheiden, das nach zehn bis zwölf Jahren Forschungsarbeit und klinischer Erprobung vorerst nur für Erwachsene neu zugelassen wurde. Andererseits muss die Forschung berücksichtigen, "dass Kinder keine lebenden Reagenzgläser sind", betonte Male.

Denn in der Praxis läuft eine Behandlung oft wesentlich vielschichtiger ab. So wird mitunter nicht nur das zu testende Antibiotikum verabreicht, sondern dazu kommen auch noch der Hustensaft, so manches Kraut oder Globuli. Solche Kombitherapien können das Wirkspektrum des Mittels verändern.

Die Kriterien für Arzneimittelstudien sind sehr hoch gesteckt. "Immerhin geht es im Anschluss an das Zulassungsverfahren um eine Anwendung für Millionen von Menschen", betonte Huber. Eine Koordinationsstelle der pharmazeutischen Industrie in Anlehnung an internationale Modelle soll mithelfen, Studien an jungen Menschen rasch und effizient durchführen zu können.