Die Stimmung ist angespannt, die Opposition fürchtet Manipulationen.
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Caracas. Nach einem hitzigen Wahlkampf dürfte es am Sonntag in Venezuela zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Präsident Hugo Chávez und seinem Herausforderer Henrique Capriles kommen. Das Wahlergebnis wird nicht nur mit Spannung, sondern auch mit Anspannung erwartet, obwohl beide Kandidaten erklärt haben, sie würden das Ergebnis akzeptieren. Dennoch ist fraglich, was passiert, wenn die Wahl knapp ausgeht, vor allem, wenn Capriles vorne liegen sollte.
Die Opposition will, um Manipulationen zu vermeiden, die Stimmabgabe und Auszählung auch in kleinsten Wahllokalen beobachten. Dabei gelten Venezuelas elektronische Wahlurnen und das System der Stimmenerfassung als weitgehend fälschungssicher. Bester Beleg dafür ist ein Referendum 2007, das Präsident Chávez verlor.
Für Chávez wollten zwischen 46 und 57, für seinen Gegner zwischen 38 und 46 Prozent der Wähler stimmen, so die letzten Umfragen. Dass sie so extrem schwanken, liegt einerseits an Instituten, die im Verdacht der Parteilichkeit stehen. Andererseits hatte sich ein Zehntel der Wähler kurz vor der Wahl noch nicht entschieden, und 13 Prozent der Befragten mochten überhaupt nicht sagen, wen sie wählen würden.
Der 58-jährige sozialistische Staatschef, dessen Krebserkrankungen ebenso wie die Frage seiner Nachfolge im Wahlkampf nur hinter vorgehaltener Hand thematisiert wurden, wies bei seiner Abschluss-Kundgebung in der Hauptstadt Caracas auf die sozialen Errungenschaften seiner 14-jährigen Regierungszeit hin. "Glaubt ihr denn, die Regierung des Mittelmäßigen" - mit dieser Vokabel, "majunche", pflegt Chávez seinen Gegner zu benennen - "behält die Volksmärkte oder die Missionen bei?", rief er seinen in Rot gekleideten Anhänger zu.
Wohnungen und Bildschirme für Wahlsieg
Capriles, ein aus vermögender Familie stammender Wirtschaftsanwalt, beteuert, die staatlichen Sozialwerke ("misiones") nicht abschaffen, sondern ausbauen zu wollen. Der 40-Jährige tritt für eine Marktwirtschaft mit starken sozialstaatlichen Elementen ein.
Anders als vor sechs Jahren, als Chávez leichtes Spiel mit seinem damaligen rechten Konkurrenten hatte und haushoch gewann, ist Capriles nicht so einfach als Vertreter der alten Rechten zu brandmarken. Er ist jung und wirkt seriös, er meidet persönliche Attacken, und er weist, wenn auch betont sachlich, auf die Fehler und das Versagen der Chávez-Regierung hin: auf die stark gestiegene Kriminalität, die Korruption, die Ineffizienz der staatlich gelenkten Wirtschaft. "Ich rufe Chávez zu, dass seine Zeit abgelaufen ist", sagte er auf seiner Abschluss-Kundgebung im Bundesstaat Lara, der einst fest chavistisch war und heute zur Opposition gerechnet wird. "Die Zukunft ist angebrochen, wir wollen ein anderes Land!"
Trotzdem fürchten viele Venezolaner aus den unteren Schichten, Capriles könnte die Uhren wieder zurückstellen. Tatsächlich haben die Ärmeren beträchtlich von der Sozialpolitik des Präsidenten profitiert. Im Hinblick auf die jetzige Wahl hat Chávez Anfang 2011 ein riesiges Programm aufgelegt, das in den nächsten Jahren drei Millionen neue Wohnungen zu schaffen verspricht. Selbst Haushaltsgeräte und Flachbildschirme gibt die Regierung zu Spottpreisen ab, um ihre Klientel an sich zu binden.
Finanziert wird das alles mit den Einnahmen aus dem Öl. Venezuelas staatliche Öl-Firma PdVSA ist meist auch das ausführende Organ der Missionen. Deshalb ist ihr Personalbestand in den vergangenen Jahren von 40.000 auf 100.000 erhöht worden. Kritiker sagen, der Konzern vernachlässige darüber sein Kerngeschäft, die Ölförderung.