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"Für Justiz äußerst peinliche Debatte"

Von Walter Hämmerle

Politik

Dieter Böhmdorfer: Staatsanwalt ermittelt wie vor 50 Jahren. | "Personalmangel nicht das Problem." | "Sozialpartner verhindern notwendigen Rechtsfortschritt." | "Wiener Zeitung": Die dritte Gewalt, die Justiz, ist in Österreich in den vergangenen Wochen und Monaten heftig ins Gerede gekommen. Gibt es hier strukturelle Mängel? | Dieter Böhmdorfer: Nein, das glaube ich nicht. Was es jedoch sehr wohl gibt, sind Anwendungsprobleme der neuen Strafprozessordnung.


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In Fällen wie bei Natascha Kampusch ist der Eindruck entstanden, dass die Rädchen der Justiz bei Ermittlungen nicht ineinandergreifen. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei scheint überhaupt nicht zu funktionieren.

Die Vermutungen, die im Fall Kampusch im Raum stehen, sind noch nicht bewiesen. Bei so komplizierten Fällen findet man aber immer Fehler, wenn im Nachhinein evaluiert wird. Schlampereien bei Ermittlungen passieren leider immer wieder, auch wenn sie eigentlich, seitdem die Staatsanwaltschaft die Oberhoheit im Ermittlungsverfahren hat, nicht mehr vorkommen sollten. Die Reform der Strafprozessordnung ist jedoch seitens des Ministeriums nicht ordentlich umgesetzt worden.

Wegen des vielbeklagten Personalmangels auf Seiten der Justiz?

Nein, das ist überhaupt kein Grund. Die Staatsanwaltschaft hat genau die Menge an zusätzlichem Personal bekommen, die sie zuvor für notwendig erachtet hatte. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Staatsanwälte die neue Aufgabenstellung nicht wirklich annehmen. Man muss die Verdächtigen einvernehmen, mit den Geschädigten und anderen Betroffenen intensiv sprechen, dazu braucht man aber auch ein Konzept. Die Staatsanwaltschaft hat sich aber noch nicht auf ihre neue Rolle im Ermittlungsverfahren eingestellt. Stattdessen agiert man weiter wie vor 50 Jahren: Es wird im Geheimen ermittelt, als ob sich nichts geändert hätte. Das ist - alles in allem - ein rein organisatorisches Problem. Die Reform der Strafprozessordnung ist ja nicht überfallartig gekommen, sondern wurde 17 Jahre lang vorbereitet.

Wo liegen die Ursachen dafür: Im Unwillen der Staatsanwaltschaft, in mangelnden Vorgaben des Ministeriums, oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich alles eingespielt haben?

Jeder Fachmann wird Ihnen bestätigen können, auch wenn er es vielleicht nicht laut sagen möchte, dass es Aufgabe des Justizministeriums wäre, die Strafprozessreform umzusetzen. Dieser Vorwurf trifft in erster Linie Ex-Justizministerin Maria Berger. Sache der Staatsanwaltschaft wäre es, nicht nur über den steigenden bürokratischen Aufwand zu jammern, sondern auch anzupacken. Bürokratie gehört zu einem Rechtsstaat. Aus der Sicht eines Verteidigers, der ich ja jetzt bin, funktioniert die angestrebte enge Zusammenarbeit mit den Geschädigten überhaupt nicht. Geschädigte sind ja oft, vor allem in Wirtschaftsfragen, nicht nur Opfer, sondern auch Experten - leider wird mit diesen fast überhaupt nicht kommuniziert. Mein Vorwurf an das Ministerium ist, dass konzeptiv überhaupt nicht erkannt wurde, was hier an Chancen für Ermittlungen brach liegt.

Ein weiterer aktueller Vorwurf an die Justiz lautet, sie schone die Mächtigen, insbesondere Politiker.

Das kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung nicht bestätigen. Ich habe aber immer gebeten, dass möglichst schnell in solchen Fällen gearbeitet wird, weil die Erfahrung zeigt, dass Akten mit Politiker-Bezug schnell bei den Medien landen. Es ist nicht ideal, wenn ein Beschuldigter aus der Zeitung erfährt, wann der nächste Verhandlungstermin vor Gericht ist. Schonung für Politiker kann es schon allein deshalb nicht geben, weil ja jede Weisung im Akt schriftlich festgehalten werden muss.

Es gibt auch subtilere Formen der Beeinflussung, etwa wenn im vorauseilenden Gehorsam den politischen Interessen des Ministers gemäß gehandelt wird.

Eines muss man einmal ganz klar aussprechen: Der Vorwurf des vorauseilenden Gehorsams ist ein Argument gegen die Anständigkeit der Staatsanwaltschaft. Wenn es das tatsächlich gibt, dann ist es Sache von Richtern und Staatsanwälten, diese Personen bloßzustellen und zur Verantwortung zu ziehen, weil sie schlicht und einfach ungeeignet für diese Aufgaben sind. Das Disziplinarrecht ist alleinige Angelegenheit von Richtern und Staatsanwälten - und die müssen solche Dinge auch regeln. Das gehört kompromisslos abgestellt.

Haben Sie selbst als Minister Erfahrung mit vorauseilendem Gehorsam von Beamten gemacht?

Nein, das wird aber auch damit zusammenhängen, dass ich als Freiheitlicher aus einer kleinen Partei gekommen bin. Als SPÖ- oder ÖVP-Politiker könnte das anders sein. Grundsätzlich ist diese ganze Debatte für die gesamte Justiz selbstbeschädigend und äußerst peinlich.

Nikolaus Michalek, einer Ihrer Vorgänger als Justizminister, spricht sich dafür aus, dass dieses sensible Amt nur von Parteifreien besetzt werden sollte.

Wenn man keiner Partei angehört, ist man auch nicht in den politischen Willensbildungsprozess eingebunden. Dann ist man zwar Minister, kann aber de facto nichts gestalten. Aber wer in Österreich nichts macht, hat ohnehin die höchsten Popularitätswerte.

Soll das Weisungsrecht des Ministers abgeschafft und einer anderen Institution, etwa einem vom Parlament zu wählenden Bundesstaatsanwalt, übertragen werden?

Ich erachte das Weisungsrecht des Ministers für unerlässlich. Die Sektion IV im Justizministerium hat die Aufgabe sicherzustellen, dass sich die Staatsanwaltschaft in gleichartigen Fällen gleichartig verhält. Das funktioniert nur durch eine Weisungskette. Eine theoretische Alternative wäre ein Instanzenzug für die Staatsanwaltschaft, wie er vor Gericht besteht, aber das gibt es in keinem anderen Land, das ist undenkbar. Für mich ist der Minister die ideale Spitze der Weisungskette, weil er politisch und parlamentarisch für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann. Natürlich kann man die Kontrolle weiter verstärken, aber man sollte das Weisungsrecht nicht einer anderen Institution übertragen. Das würde nur personellen Packeleien der Parteien Tür und Tor öffnen.

Sie haben erwähnt, dass Akten mit Prominenten-Bezug oft bei Medien landen. Warum wird dieser Bruch des Amtsgeheimnisses nicht unterbunden?

Das ist in Österreich ein Tabuthema. Ein Problem sehe ich vor allem dort, wo Akten nur aus Sensationslust bei Medien landen. Meiner Überzeugung nach könnte das ein guter Behördenleiter abstellen. Zum aktuellen Fall: Wenn es wirklich so war - und ich sag ausdrücklich: wenn -, dass ein Beamter aus politischen Gründen Akten gesammelt und jetzt weitergegeben hat, dann wäre das eine Katastrophe. Dann sollte man besser gleich das Amtsgeheimnis aufheben, das wäre zumindest der ehrlichere Weg.

Wo orten Sie sonst Mängel im heimischen Justizsystem?

Mittlerweile ist es so, dass die Kernaufgaben im Justizbereich von 30-Jährigen erledigt werden. Die sind, was ihre Rechtskenntnisse angeht, wirklich top, aber es mangelt ihnen an Lebenserfahrung. Im Familienrecht etwa ist das jedoch ein wirkliches Problem. In diesem Bereich kracht es ohnehin gewaltig: Die meisten Menschen leben aus den verschiedensten Gründen in Lebensgemeinschaften und nicht in einer Ehe. Homosexuelle Partnerschaften sind da nur eine verschwindend kleine Gruppe. Alle diese Menschen stehen jedoch, weil es die ÖVP aus ideologischen Gründen so will, außerhalb des Rechtsrahmens. Das halte ich nicht für akzeptabel. Ob hier die angestrebte Reform des Familienrechts etwas ändern wird, bezweifle ich. Angeblich wird diese ohnehin bereits wieder überarbeitet.

Und im Wirtschaftsrecht kommt überhaupt nur, was von den Sozialpartnern abgenickt wird. Bereiche, in denen enorme Schadenssummen entstehen, werden bei uns lediglich in Nebengesetzen geregelt, etwa Insidergeschäfte oder irreführende Werbung. Die von mir angestrebte Stärkung der Aktionärsrechte oder die persönliche Haftung von Aufsichtsräten scheiterte am Nein der Wirtschaftskammer.

Sauberes Wirtschaften lässt sich nur erreichen, wenn die Handelnden persönlich verantwortlich gemacht werden können - das wäre auch für den Wirtschaftsstandort wichtig. Ein Beispiel wäre etwa die Anzeigenpflicht für Unternehmensorgane beim Verdacht auf Insiderhandel. In Österreich ist es aber leider so, dass längst fällige Rechtsfortschritte an den Sozialpartnern scheitern.

Zur PersonDieter Böhmdorfer (66) war von 2000 bis Juni 2004 Justizminister in der schwarz-blauen Koalition. Zuvor war er als Anwalt und enger Vertrauter von Jörg Haider bekannt geworden. Norbert Steger, Haiders Vorgänger an der Spitze der FPÖ, bezeichnete Böhmdorfer einmal als "Haiders Mann fürs juristisch Grobe".

Zu Anfang liefen Opposition, Richter und Staatsanwälte gegen Böhmdorfer Sturm, bei seinem Ausscheiden bezeichnete ihn SPÖ-Justizsprecher Jarolim dann als "einzigen FPÖ-Minister mit Sachkompetenz". Böhmdorfer setzte sich für die Stärkung der Konsumentenrechte ein, reformierte die Struktur der Bezirksgerichte und die Strafprozessordnung, die 2008 in Kraft trat.

Heute ist er Anwalt in Wien, verheiratet mit einer Rechtsanwältin und Vater von vier Söhnen.