)
Die Glockenstube des sechsstöckigen Fischaturms bietet den Besuchern nicht nur einen wunderbaren Ausblick über die Stadt Fischamend.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der im Hochmittelalter errichtete und im 17. Jahrhundert weiter aufgestockte Fischaturm in Fischamend, der zunächst als "Auslug" und später auch dem örtlichen Nachtwächter als Quartier diente, ist seit 1927 Heimstatt eines Heimatmuseums mit herrlichen Exponaten. Das Emporsteigen zu den einzelnen Ausstellungsebenen gleicht einer beschaulichen Zeitreise in die entschwundene Welt der Großväter und Urgroßmütter.
In der Glockenstube angekommen, wo aus den Turmfenstern ein grandioser Rundumblick möglich ist, wird man sogleich einer höchst eigenwilligen Konstruktion im Glockengestühl ansichtig. Wie Franz Lorenz, der seit Jahrzehnten als Kustos im Museum tätig ist, erläutert, mussten die Fischamender im Ersten Weltkrieg die große Stundenglocke ihres Stadtturms als kriegswichtiges Material für Kaiser und Vaterland herausrücken. Die kleine Viertelstundenglocke hingegen durfte, ebenso wie der das Bauwerk bekrönende Wetterfahnen-Fisch, am Turm verbleiben.
Stellenwert von Glocken im Alltag
Weil Glocken früher einen ganz anderen Stellenwert hatten als heutzutage, wollte man diese "Amputation" nicht ohne Weiteres hinnehmen. Also wurde Ersatz gesucht und in Form einer aufgeschnittenen Sauerstoff-Flasche gefunden.

Diese "Notglocke", die in Fischamend bis heute die vollen Stunden anzeigt, unterscheidet sich durch den tieferen Ton von der Viertelstundenglocke, die bis 1971 zusätzlich als "Zügenglocke" anzeigte, dass jemand "in den letzten Zügen" gelegen ist. Beim Ableben eines Mannes wurde diese Totenglocke dreimal, beim Tod einer Frau zweimal und beim Hinscheiden eines Kindes einmal geläutet.
Was die von einem Hammer angeschlagene Sauerstoff-Flasche betrifft, so ist zu vermerken, dass derlei Notkonstruktionen in den beiden Weltkriegen nicht selten waren. Zuweilen wurden Eisenbahnschienen in etwa 1,50 Meter lange Stücke geschnitten und an Seilen im Turm aufgehängt, auch große Sammelmilchkannen oder Lastwagenfelgen, die mit einem Hammer angeschlagen wurden, kamen zum Einsatz. Im Innsbrucker Glockenmuseum Grassmayr wird heute noch eine ehemalige (nicht explodierte) Fliegerbombe gezeigt, die – liebevoll verziert – für eine Pfarrkirche im Moselgebiet als Notglocke adaptiert wurde. In so gut wie allen Kirchen wurden Notglocken später ausgetauscht; die Fischamender Konstruktion darf mittlerweile als Rarität gelten.
Print-Artikel erschienen am 11. September 2014
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7
Heimatmuseum Fischamend
im Fischaturm
2401 Fischamend (NÖ), Hauptplatz
Geöffnet an jedem ersten Samstag im Monat von 10–12 und 15–19 Uhr sowie nach Vereinbarung für Führungen (Mai bis Oktober)
Tel. 02232/773 00
www.heimatmuseum-fischamend.at