Über Jahrhunderte hinweg galt Lloyd's als Symbol für Integrität und Glaubwürdigkeit. 1688 in Edward Lloyd's Kaffeehaus in London gegründet, wuchs das Unternehmen an der Seite des britischen | Königreichs zum weltweit größten Versicherer für die Schifffahrt. Für den Untergang der Titanic im Jahre 1912 musste Lloyd's 1,58 Mill. Dollar berappen. Im Vergleich zu Forderungen, denen sich | Lloyd's seit Montag in einem Prozess in London gegenüber sieht, ist das eine eher geringe Summe. Hunderte von Lloyd's-Teilhabern fühlen sich betrogen, und bringen den Versicherungskoloss mit ihrer | Klage ernsthaft ins Wanken. Der Prozess soll bis zum Sommer dauern.
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Die Names, so heißen die Lloyd's-Investoren in der Branche, weil sie mit ihrem guten Namen (und Vermögen) gerade stehen, beklagen einen Gesamtschaden von umgerechnet rund 3,38Mrd. Schilling. 230
Names werfen der Geschäftsführung des 312 Jahre alten Unternehmens Betrug vor.
Als die klagenden Teilhaber in den Konzern investiert hätten, habe die Führungsriege verschwiegen, dass zu diesem Zeitpunkt riesige Belastungen ins Haus gestanden hätten. Lloyd's nahm in den 70er
Jahren zahlreiche neue Investoren auf, weil nach Ansicht der Geldgeber in Zusammenhang mit Asbest-Erkrankungen Zahlungen in großer Höhe auszugleichen waren.
"Ich glaube, der Prozess ist ein fataler Schlag für die Institution, egal ob er verloren geht oder gewonnen wird", sagt die New Yorkerin Dona Evans, eine der klagenden Names, die mit ihrem Engagement
bei Lloyd's 395.000 Dollar verloren hat. Denn nNoch größer als der drohende finanzielle Schlag ist aber der zu erwartende Imageverlust für das Traditionshaus.
Lloyd's hat alle Beschuldigungen zurückgewiesen, die seit 1989 im Raum stehen. Die Anwälte des Unternehmens berufen sich dabei auf ein Gutachten eines regierungseigenen Betrugsdezernats, das sich
1992 mit den Vorwürfen beschäftigt, aber bisher keine Schritte gegen Lloyd's eingeleitet hat. Unternehmenssprecher Adrian Beeby hat seitdem immer wieder alle Verdächtigungen abgestritten.
In den siebziger Jahren kamen die ersten Vorwürfe in Zusammenhang mit den Asbest-Erkrankungen auf den Tisch - und zeitgleich warb Lloyd's neue Investoren an. Innerhalb von 13 Jahren versechsfachte
sich die Zahl der Names, von 6.000 im Jahr 1975 auf 36.000 im Jahr 1988. David Harris aus London wurde 1984 zum Lloyd's-Teilhaber. Es habe damals überhaupt keine Andeutung darüber gegeben, dass dem
Konzern möglicherweise Forderungen in einer gefährlichen Höhe in Haus stünden, erinnert er sich. "Ich bin Buchhalter und da habe ich die Zahlen natürlich ganz genau überprüft. Ich glaube, dass ich
die richtigen Fragen gestellt habe. Aber ich habe die falschen Antworten bekommen."
Nur kurze Zeit nach Harris' Investitionen fingen für Lloyds die schwarzen Jahre an. Von 1988 bis 1992 verlor Lloyd's rund 180 Mrd. Schilling und trieb damit zahlreiche Names in den Ruin. Rund 30 von
ihnen haben sich angesichts der finanziell ausweglosen Situation das Leben genommen.
Als ein Versuch zur Überwindung des finanziellen Rückschlags hat Lloyd's 1996 eine Rückversicherungsgesellschaft gegründet. In Equitas, so der Name des neuen Unternehmens, sollte alle Verpflichtungen
aufgefangen werden. Mit Ausnahme von 5% entschieden sich alle Names zu Zahlung der Prämien, um ihre Schulden auf Equitas abzuladen. Einige derjenigen, die die hohen Prämien damals nicht zahlen
wollten oder konnten, haben nun die Klage angestrebt. Sollten sie Erfolg haben, würde das ein großes Loch in die Kassen von Lloyd's reißen.