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"Für mich ist Sprache große Musik"

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

Die Schauspielerin und Regisseurin Maria Happel beschreibt die Vorteile der künstlerischen Vielseitigkeit und erklärt, warum Wien für Theatermenschen nach wie vor die beste Stadt ist.


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"Wiener Zeitung":Wir befinden uns hier in Ihrer Künstlergarderobe im Burgtheater. Dass Sie sich unmittelbar vor Ihrem Auftritt als Glücksfee Fortuna in Nestroys Zauberposse "Der böse Geist Lumpazivagabundus" Zeit für unser Gespräch nehmen, deutet auf gute Nerven hin?Maria Happel: Wie Drahtseile! Ich habe einfach gelernt, mich gut zu organisieren und bin auch in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Bereits als Schülerin habe ich mich am Nachmittag ans Klavier gesetzt und anstelle der Noten das Geschichtsbuch aufgeschlagen. Während ich meine Fingerübungen machte, lernte ich für die nächste Schularbeit. Auf diese Weise habe ich ganze Bücher auswendig gelernt.

Wie erklären Sie sich dieses Multitasking-Talent?

Das ist sicherlich eine eigene Begabung. Vielleicht habe ich das Glück, dass die Synapsen anders schließen. Eine andere Erklärung dafür könnte sein, dass ich als Kind nicht nur Klavier, sondern auch Orgel gelernt habe. Im Orgelspiel verzweigt und multipliziert sich ja alles. Die rechte von der linken Hand unabhängig zu machen und mit den Pedalen zu koordinieren kennt man ja vom Klavierspiel. Bei der Orgel kommen dann aber noch die verschiedenen Manuale und das Registrieren hinzu. Und wenn man, so wie ich, in der Kirche gespielt hat, muss man zusätzlich noch darauf achten, was der Pfarrer gerade erzählt, damit man den Einsatz nicht verpasst. Orgelspiel ist ein Ganzkörpereinsatz und das Gehirn wird unglaublich geschult und trainiert.

Sie sind in der laufenden Spielzeit in sieben Aufführungen zu sehen. Wenn man die bevorstehende Premiere der "Mutter Courage" hinzurechnet, sind es gar acht. Verliert man da nicht selbst manchmal den Überblick?

Bisweilen ist es schon so, dass ich das Gefühl habe, ich müsste von der Festplatte einmal was löschen. Sie ist voll. Aber ich nehme mir dann auch Auszeiten, wenngleich die momentan wirklich knapp bemessen sind, das gebe ich zu. Und das macht mich zwischenzeitlich auch sehr traurig, wenn ich beispielsweise nicht zu den Schulaufführungen meiner Töchter kann, weil ich abends ins Theater muss. Aber trotz allem gibt es zwischendurch immer den einen oder anderen Sonntag, wo ich weiß, ich habe keine Vorstellung oder Proben. Dann gehe ich gar nicht aus dem Haus. Und abgesehen von einem großen Frühstück mit der Familie versuche ich zu schweigen, damit sich die Stimme erholt. Aber wenn man gerade ein neues Stück erarbeitet, muss man sich eine Zeit lang sehr disziplinieren. Nach einer Premiere wird das Leben wieder leichter.

Am 8. November ist Premiere von Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" am Burgtheater. Sie spielen die Hauptrolle. Wie freundeten Sie sich mit der Rolle der Anna Fierling an?

Das ist schon eine dieser Rollen, wo man sagt, das würde ich im Schauspielerleben gerne einmal spielen. Da braucht man sich gar nicht anzufreunden. Oder vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht muss man sich umso mehr anfreunden, weil man so viel Respekt davor hat, zumal es viele großartige Frauen gab, die diese Rolle verkörpert haben. An die "Mutter Courage" sind viele Erwartungen geknüpft. Aber im Prinzip versuche ich das zu vergessen und bin an diese Rolle wie an jede andere herangegangen.

Was ist für Sie persönlich der spezielle Reiz dieser Rolle?

Dass sie eine Entsprechung zu den ganz großen Männerrollen ist. Bei den Männern kommen die großen Rollen erst im Alter, der King Lear oder der Nathan. Bei den Frauen ist das schwieriger, da dünnen sich die großen Rollen mit zunehmendem Alter aus. Die "Mutter Courage" oder "Harold und Maude" bilden da eine Ausnahme.

Von ihrer Charakterzeichnung ist die "Mutter Courage" keine Sympathieträgerin. Entdeckt man, wenn man sich als Schauspielerin mit dieser Figur zu befassen hat, sympathische Facetten dieser Persönlichkeit?

Einen sympathischen Charakter zu zeichnen war nicht der Plan von Brecht. Brecht hat nach der ersten Fassung das Stück sogar nochmals umgeschrieben, damit sie unsympathischer wird. Auf der anderen Seite finde ich, kann man für "Mutter Courage" durchaus Sympathien entwickeln. Sie ist eine Frau, die einfach versucht, mit ihren Kindern durch den Krieg zu kommen. Sie ist alleinerziehend und muss sich zwischen Prostitution und Handel entscheiden. Eine zentrale Frage des Stücks ist ja auch: Wer werfe den ersten Stein? Natürlich ist es falsch, mit dem Krieg Geschäfte zu machen, letztlich muss sie ja auch dafür bezahlen. . .

Und verliert trotz höchster Anpassungsfähigkeit alles was ihr teuer und lieb ist...

Ja, und die Schauspielerin stellt sich in den Dienst, diese Geschichte zu zeigen, was sie gleichzeitig sehr für diese Dinge sensibilisiert. Aber das geht mir bei allen Rollen so. Sobald man sich intensiv mit einer Thematik befasst, findet man Parallelen zum Leben.

Könnte es sein, dass Brecht für Sie einen besonderen Stellenwert hat, weil Sie im Jahr 1993 beim "Kaukasischen Kreidekreis" Ihren Kollegen und nunmehrigen Mann Dirk Nocker kennengelernt haben?Bei Brecht hat sich in meinem Leben mehrmals ein Kreis geschlossen. "Der Kaukasische Kreidekreis" war das erste Theaterstück, das ich in der Schule gelesen habe, auch die erste Schulaufführung, bei der ich mitgewirkt habe. Dann durfte ich den "Kreidekreis" hier am Burgtheater spielen und habe meinen Mann kennengelernt. Jetzt - 20 Jahre später - stehen wir wieder bei einem Brecht-Stück gemeinsam auf der Bühne und haben morgens den gleichen Weg zu den Proben. Damals war es auch Herbst und demnächst wird drüben am Rathausplatz beim Weihnachtsmarkt unser 21. Herzbaum erleuchtet sein. Das ist, wenn es nicht so kalt wäre, wie ein zweiter Frühling!

Standen Sie und Ihr Mann tatsächlich all die Jahre nicht gemeinsam auf der Bühne?

Abgesehen von "Spatz und Engel" mussten wir hier am Burgtheater 20 Jahre darauf warten. Es ist fast ein bisschen sentimental. Dirk steht wieder mit Helm und Gummimantel auf der Bühne und ich denke mir: Mein Gott, da liegen 20 Jahre dazwischen, das ist nicht zu fassen!

In Ihrer Autobiographie "Das Schnitzel ist umbesetzt!" gewähren Sie einen offenherzigen Einblick in Ihr Leben. Interessant fand ich unter anderem die Tatsache, dass Sie just während Ihrer ersten Schwangerschaft wieder zu der Freude zurückfanden, die Sie früher für das Theaterspielen empfanden. Was war geschehen, dass diese Freude eine Zeit lang von Angstzuständen überlagert war?

Der Erfolgsdruck und die Erwartungshaltungen wurden immer größer. Ich hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl, ins Theater zu dürfen, sondern ins Theater zu müssen. Ich hatte völlig vergessen, wie ich mich gefreut habe, als ich bei der ersten Hauptprobe meines Lebens endlich den Leuten zeigen durfte, was wir wochenlang erarbeitet haben. Diese Freude war verschwunden und es wurde alles ein bisschen verkrampft. Aber als ich wusste, dass ich ein Kind erwarte, hat sich dieser Zustand aufgelöst. Die Verantwortung für ein anderes Wesen brachte wieder die Freude fürs Theaterspielen mit sich. Der Mutterinstinkt hat dem Theaterinstinkt wieder eine Bedeutung gegeben.

Auch ein anderes Beispiel aus Ihrem Leben zeigt, wie sich von einem Moment zum anderen alles zum Guten wenden kann. 1986, also zu Beginn Ihrer Karriere, feierten Sie in Bremen in der Rolle der Edith Piaf große Erfolge. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie damals aus Sorge um Ihre Stimme auf dem besten Weg waren, von Kortisonspritzen abhängig zu werden. Dann kam ein neuer Theaterarzt, der sich weigerte, Ihnen diese Spritze zu verabreichen. Und siehe da: Plötzlich ging es auch ohne Kortison.

Diese Dinge gehören zu der Entwicklung eines Schauspielers dazu. Sich bis zur Selbstaufgabe mit einer Rolle zu identifizieren hat viel mit Neugierde und jugendlichem Leichtsinn zu tun. Mit der Zeit findet man dann seine Methoden und Rituale, um mit gewissen Situationen umzugehen. Ich vergleiche das gerne mit einem Sportler, der im Wissen um seine Grenzen seine Kräfte einzuteilen weiß und wohl dosierte Trainingseinheiten absolviert. Aber auch das muss man eben erst einmal lernen.

Apropos Lernen bzw. Schnelllernen: Sie haben in der Theaterszene den Ruf als Parade-Einspringerin. Einmal sprangen Sie beispielsweise für Gusti Wolf im Stück "Harold and Maude" ein und studierten die Rolle der Maude am Vorabend der Vorstellung ein. Wie schaffen Sie das? Haben Sie da eine bestimmte Methodik, Texte derart schnell zu lernen?

Mittlerweile merke ich natürlich schon ein bisschen die Reife, es ist mir schon mehr zugeflogen, als es jetzt der Fall ist. Aber ich lerne immer noch wahnsinnig leicht, das habe ich einfach mitgekriegt. Auf diese Weise spare ich viel Zeit, die ich für anderes nutzen kann.

Beispielsweise für das Regiefach, in das Sie in letzter Zeit immer öfter wechseln. Was ist Ihr Credo, wenn Sie Regieführen?

Ich beschäftige mich sehr stark mit dem Ensemblegedanken. Auch hier gibt es Analogien zum Orgelspiel, zur Musikalität. Für mich ist Sprache eigentlich eine große Musik. Regieführen sehe ich als Mischung zwischen Dirigieren und Interpretieren. Bilder für diesen Weg zu geben und Teil dieses Orchesters zu sein, fasziniert mich sehr.

Sie spielen Klavier und Orgel, sind ausgebildete Mezzosopranistin - liegt Ihnen die Musik näher als das gesprochene Wort?

Im nächsten Leben singe ich nur noch! Nein, Sprache an sich interessiert mich natürlich. Deshalb habe ich mich als junge Schauspielerin auch entschieden, nicht Musical zu machen, sondern in die Menschenschicksale einzutauchen. Sprache als höchste musikalische Form zu sehen, finde ich interessant. Aus diesem Grund fasziniert mich auch die Musikalität von Bernhard- und Jelinek-Texten mit all diesen Sprachspielereien und fugenartigen Zusammensetzungen.

Auf der Bühne verkörpern Sie die unterschiedlichsten Charaktere. Was liegt Ihnen persönlich mehr: Komödie oder Tragödie?

Ich glaube, mein Weg ist eher jener von der Komödiantin zur Tragödin. Aber für mich gehören Komödie und Tragödie zusammen. Wie die lachende und weinende Maske, die miteinander verbunden sind. Eine wirkliche Komödiantin schleppt immer die Tragödin mit sich herum und umgekehrt. Aber unabhängig davon, welchen Charakter man zu verkörpern hat: Es ist immer ein Vergnügen eine Figur zu ergründen und in sich zu finden.

Claus Peymann, der Sie 1991 nach Wien ans Burgtheater holte, war von Ihrem Mut angetan. Sehen Sie sich selbst auch als mutigen Menschen?

Mutige Menschen sind ängstliche Menschen. Wenn ich mich nicht fürchte, brauche ich auch keinen Mut. Ein mutiger Mensch ist jemand, der seine Angst nicht zeigt, sich etwas traut und somit seine Angst überwindet.

Gab es eine bestimmte Begebenheit, dass Peymann von Ihnen diesen Eindruck gewann?Es war einfach die Art, wie wir bei den Proben miteinander umgehen konnten. Ich fand ihn streng, aber gerecht. Kritik bezog sich immer nur auf die Arbeit und ging nie unter die Gürtellinie. Und er ist nicht nachtragend.

Sie konnten also Kritik zum Ausdruck bringen, wenn Sie etwas nicht in Ordnung fanden?

Ich konnte das sagen. Schließlich sind wir eine große Strecke zusammen gegangen und da entwickelt sich einfach Vertrauen.

Im Jahr 2000 folgten Sie Peymann nach Berlin. Was war letztlich ausschlaggebend, dass Sie drei Jahre später wieder ans Burgtheater zurückkehrten?

Es gab immer die Option zurückzukommen, und es lag an mir, diese Entscheidung zu treffen. Als aus Wien das Angebot kam, mit Brandauer "Hamlet" zu machen, habe ich nicht gezögert. Und drei Jahre Berlin haben mir fürs Erste auch gereicht.

Wovon hatten Sie genug?

Es ist einfach so, das muss man ganz offen sagen: Für Theaterschauspieler ist Wien einfach die Insel.

Ist es also tatsächlich so und nicht nur ein oft bemühtes Klischee?

Nein, das ist so. Theater und Schauspieler haben in Wien einen ganz anderen Stellenwert beim Publikum als dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Das konnte man zuletzt auch wieder beim Jubiläumskongress "125 Jahre Burgtheater" sehen. Früher wurden sogar die Kutschen geschmückt, mit denen die Kollegen zum Theater gebracht wurden. In Wien wird dem Theater und dem Schauspieler eine große Wertschätzung entgegen gebracht. Und das vermisst man dann natürlich, wenn man in einer anderen Stadt spielt.

Andererseits waren Ihre Anfänge in Wien auch nicht immer einfach. In Ihrer Autobiographie gibt es die Episode mit dem Taxifahrer, der Sie nach einer Abendprobe am Bühneneingang des Burgtheaters abholte. Als er erfuhr, dass Sie eine Deutsche sind, forderte er Sie auf auszusteigen, weil er nicht unterstützen wollte, dass das österreichische Nationaltheater in deutscher Hand ist.

Ja, aber letztendlich beweist auch diese Begebenheit, dass sich die Menschen in dieser Stadt um die Zukunft des Burgtheaters kümmern. Der Taxilenker fand die damalige Situation einfach nicht in Ordnung.

Wobei sich die Ablehnung wohl in erster Linie gegen Peymann richtete.

Natürlich. Mein Glück ist, dass ich einen sehr günstigen Nachnamen habe.

Stimmt, der Name Happel ist auch Fußballfans ein Begriff.

Deswegen wurde ich hier auch sehr schnell aufgenommen.


Zur Person
Maria Happel, 1962 geboren, wuchs in einem Ort namens Rück im Spessart (Südwest-Deutschland) auf. Abitur in Hanau, anschließend Ausbildung am Bühnenstudio Hedi Höpfner in Hamburg. Ihre Karriere begann an den Schauspielhäusern in Bremen, Köln und Hannover, bevor Claus Peymann sie 1991 ans Wiener Burgtheater holte. Im Jahr 2000 folgte sie Claus Peymann zunächst ans Berliner Ensemble, ehe sie zur Spielzeit 2002/03 wieder ans Burgtheater zurückkehrte.

Neben der Schauspielerei führt Maria Happel auch Regie. Anfangs überwiegend bei den Festspielen Reichenau, später auch am Burgtheater bzw. am Landestheater Niederösterreich. Daneben ist Maria Happel eine versierte Hörspielsprecherin. Sie spielt Klavier und Orgel und ist eine ausgebildete Mezzosopranistin.

1999 wurde sie mit der Kainz-Medaille der Stadt Wien geehrt, im Jahr 2003 erhielt sie den Nestroy-Theaterpreis als "Beste Schauspielerin" für ihre Rolle als Maria Planck in dem Stück "Das Leben der Plancks". 2004 wurde sie mit dem ORF Hörspielpreis in der Kategorie "Schauspielerin des Jahres" ausgezeichnet.

Maria Happel ist mit ihrem Kollegen Dirk Nocker verheiratet, mit dem sie zwei Töchter hat.

Literaturhinweis: Maria Happel "Das Schnitzel ist umbesetzt. Was bisher geschah...", Amalthea Verlag, 232 Seiten, 22,95 Euro.Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, jahrelang Kulturredakteurin bei der "Wiener Zeitung", lebt nun als freie Journalistin, Autorin und Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur "Lineaart" in Wien.