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"Islamisierung sozialer Probleme". | Gegen "Opfermentalität" bei Muslimen. |
§§"Wiener Zeitung": Herr Ramadan, die Präsenz von Muslimen in Europa löst immer wieder erregte Debatten aus, wie jüngst in ihrem Herkunftsland Schweiz zum Thema Minarette. Was sind die Gründe? *
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Tariq Ramadan: Der Hauptgrund ist wahrscheinlich die neue Sichtbarkeit muslimischer Präsenz, die viele Menschen ängstigt. Es ist einfach ungewohnt: Es kommen Menschen aus fernen Ländern, mit zum Teil anderer Hautfarbe, manche tragen Kopftücher. Das ist für viele erschreckend, und diese Ängste muss man auch respektieren. Man soll sie aber nicht instrumentalisieren, wie das vor allem Rechtspopulisten machen. Deren Kampagnen laufen immer nach dem gleichen Muster ab: Man nimmt ein Symbol muslimischer Präsenz, hier das Minarett, gibt sachliche Argumente vor und zielt doch auf die Muslime selbst. Das ist eine neue Art von Rassismus, der Muslime ins Visier nimmt. Man spricht auch nicht mehr von Nordafrikanern oder Türken, sondern von Muslimen und islamisiert so soziale Probleme.
Aber gibt es nicht ein speziell muslimisches Integrationsproblem? In Deutschland hat Thilo Sarrazin mit der Aussage für Aufregung gesorgt, nichtmuslimische Einwanderer wären beruflich erfolgreicher.
Das möchte ich gar nicht bestreiten. In Großbritannien hat man bei Einwanderern aus Indien und Pakistan festgestellt, dass die Hindus erfolgreicher sind. Aber warum ist das so? Ich denke, es liegt an einer weit verbreiteten Opfermentalität in der muslimischen Gesellschaft, eine Art "die mögen uns nicht"-Einstellung, die wie eine sich selbst erfüllende Prophezeihung wirkt und zur Isolation führt. Dazu gibt es vor allem bei jungen Männern aus Nordafrika oder Pakistan ein spezielles Problem: Im Gegensatz zu ihren oft gut ausgebildeten Schwestern bekommen sie von ihren Müttern, die ihre ganze Liebe auf die Söhne werfen, alle Freiheiten. Viele haben keine ausreichende Bildung, spielen spätnachts noch Fußball.
Kann man dem begegnen?
Statt die Buben zu Feindbildern zu stempeln, wäre es jedenfalls besser, sie an die Gesellschaft heranzuführen. Ich rufe die Muslime auch immer wieder auf, aktiver zu werden und am staatsbürgerlichen Leben teilzunehmen und nicht etwa eigene Schulen nur für Muslime zu erreichten.
Aber reichen da Aufrufe?
Ein Teil der Lösung ist sicher, statt der Frage nach der Herkunft die nach dem "wohin" zu stellen. Der französische Fußballer Zinedine Zidane ist da ein hervorragendes Beispiel: Kein Mensch hat nach seiner algerischen Herkunft gefragt, als er mit Frankreich Spiele gewonnen hat. Man sollte die Potentiale der Immigranten aktivieren. Das sollten vor allem die traditionellen, nicht-populistischen politischen Parteien begreifen, denn die europäischen Länder haben sich verändert. Man kann nicht mehr nur mit weißen Mittelschichtlern das ganze Land repräsentieren wollen. Besser wäre es, gemeinsam Vertrauen und Visionen zu entwickeln.
Scheitern diese Visionen nicht schon an den Zeichen der Nicht-Gemeinsamkeit, etwa beim Bau von Moscheen? Kritiker werfen Muslimen ja auch vor, Minarette seien Siegessymbole und gewissermaßen Zeichen erfolgreicher Inbesitznahme von neuem Land.
Dasselbe habe ich von Muslimen in Ägypten über koptische Kirchen gehört. Wenn ein religiös neutraler Staat Kirchen und Synagogen Raum gibt, muss das auch für Moscheen gelten. Die könnte man übrigens auch in österreichischem Stil erreichen - ich will europäische Muslime, nicht Muslime in Europa.
Ihre Kritikerin Caroline Fourest sieht in Ihnen vor allem den Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft. Sie wirft Ihnen vor, mit gespaltener Zunge zu sprechen: Gemäßigt nach außen, islamistisch für die Insider.
Es macht zwar einen Unterschied, ob ich mit Studenten oder Vorstadtkindern spreche, aber das ist auch schon alles. Inhaltlich sage ich immer dasselbe. Fourests Buch über mich ("Bruder Tariq", Anm.) strotzt vor Fehlern. Der Punkt ist aber ein anderer: Manche sagen, die Rückkehr des Islam wäre die Rückkehr der Religion. Fourest hat nicht nur mit dem Islam ein Problem, sondern mit der Religion an sich und projiziert als Atheistin und Lesbierin - wogegen ich nichts habe - ihre Ängste auf den Islam. Dagegen verwehre ich mich.
Zur Person
Tariq Ramadan ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des gegenwärtigen Islam. Anhänger des Schweizer Islamwissenschaftlers sehen ihn als Reformer und Vordenker eines "Euro-Islam". Kritikern gilt der in Genf aufgewachsene Enkel von Hassan al-Banna, dem ägyptischen Gründer der islamistischen Muslimbruderschaft, jedoch als Wolf im Schafspelz, der das Werk seines Großvaters vollenden will. Der 47-Jährige gilt für viele junge Muslime in Europa als Vorbild, nicht zuletzt wegen der von ihm geforderten Partizipation der Muslime an der westlichen Gesellschaft.