Was das türkische Referendum für die heimische Wirtschaft und Politik bedeutet.
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Wien. Das türkische Verfassungsreferendum entscheidet am Sonntag darüber, ob Präsident Recep Tayyip Erdogan noch mehr Macht bekommt oder nicht. Für Österreich geht es dabei politisch und wirtschaftlich um viel.
Johannes Leitner, Leiter des Kompetenzzentrums Schwarzmeerregion an der FH BFI Wien, sieht drei Szenarien, auf die sich Österreichs Wirtschaft einstellen muss: Wenn es beim Referendum zu einer klaren Zustimmung zur Verfassungsänderung kommt, glaubt er nicht an eine Stabilisierung der türkischen Wirtschaft. Diese ist vor dem Putschversuch jährlich um bis zu sechs Prozent gewachsen, 2016 wird das Plus bei unter zwei Prozent liegen. "Das zeigt, dass die Instabilität zugenommen hat", sagt Leitner. Außerdem sieht er bei einem "Ja" die Gefahr des "State capture" - sprich, dass die Elite eines Landes dessen Institutionen für private Zwecke missbraucht. Die Gewaltenteilung würde dann noch schlechter als jetzt funktionieren. Im Wirtschaftsbereich könnte es zur Freunderlwirtschaft kommen - Unternehmen, die Erdogan und seinem Zirkel nahestehen, könnten begünstigt werden. "Für österreichische Unternehmen würde sich dann die Frage stellen, mit welchen Partnern sie in der Türkei aktiv sind", sagt Leitner.
Bei einem knappen "Nein" könnte es zu einer Spaltung innerhalb der AKP kommen. Damit wäre die Unsicherheit prolongiert, was zu einem Teufelskreis für die jetzt schon schwächelnde türkische Wirtschaft werden könnte.
Eine deutliche Ablehnung würde Erdogan wohl nicht hinnehmen und ein neues Referendum eventuell mit der Todesstrafe und dem Aus für das EU-Beitrittsverfahren verbinden, um eine stärkere Mobilisierung zu erreichen. Auch das würde die turbulenten Zeiten verlängern.
4,5 Milliarden Euro Direktinvestitionen
Für Georg Karabaczek, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in der Türkei, sind die Direktinvestitionen Österreichs in der Türkei der springende Punkt. Diese liegen derzeit bei 4,5 Milliarden Euro. "Das ist mehr als in Frankreich, Italien oder China und zeigt, dass die Türkei für Österreich ein wichtiger Markt ist." Sogar nach dem Putschversuch hätten österreichische Unternehmen in der Türkei investiert, sie würden ihr Engagement nicht kurz-, sondern mittel- bis langfristig betrachten. Unternehmen, die in den türkischen Markt eintreten wollen, seien derzeit allerdings zurückhaltend. Die Spannungen zwischen Österreich und der Türkei hätten zwar bei öffentlichen Ausschreibungen und bei einigen privaten Unternehmen zu Stornierungen geführt, einen flächendeckenden Boykott gebe es jedoch nicht. Rund 180 österreichische Unternehmen sind in der Türkei vertreten, darunter befinden sich die OMV, Greiner Packaging, Mondi, Doka, AVL List und Palfinger. Diese 180 Unternehmen beschäftigen rund 13.000 überwiegend türkische Arbeitnehmer. Die Managementpositionen werden meist von Türken bekleidet.
Die Rahmenbedingungen für Exporte und Investitionen waren für Österreichs Wirtschaft bisher gut, es gibt ein bilaterales Investitionsschutzabkommen und ein Zollabkommen mit der EU. "Das sollte auch so bestehen bleiben", sagt Marcus Scheiblecker, stellvertretender Leiter des Wifo. Das Außenhandelsvolumen zwischen Österreich und der Türkei liegt bei 3,8 Milliarden Euro, Österreich hat einen kleinen Überschuss. Wenn Erdogan das Referendum gewinnt, würde er keine ökonomischen Autarkiebestrebungen wie US-Präsident Donald Trump verfolgen, sondern auf andere Länder zugehen, meint Scheiblecker. "Das wäre wichtig, denn das Vertrauen der Finanzmärkte in die Türkei ist geschrumpft." Die türkische Lira hat seit Oktober 2016 rund 15 Prozent ihres Werts verloren. Im Referendum werde nur über eine Machtausweitung des Präsidenten entschieden, nicht über wirtschaftliche Themen.
Sollte Erdogan das Referendum gewinnen, werde das für die Wirtschaft kein Beinbruch sein, beruhigt Scheiblecker. "Wir haben auch gute Performances mit nichtdemokratischen Ländern." Ein Beispiel dafür sei China.
Wirtschaftlich hat die Türkei nicht viele Alternativen, die EU ist und bleibt unabhängig vom Ergebnis einer der wichtigsten Partner. "Die Türkei ist stark von der EU abhängig, die Verflechtungen sind so eng, die kann man nicht so schnell auflösen", sagt Leitner. Beim EU-Bashing habe sich Erdogan zurückgenommen, nicht zuletzt weil es nicht in allen Teilen der türkischen Bevölkerung gut angekommen ist. Leitner glaubt auch nicht, dass der Flüchtlingspakt angetastet wird. "Die Türkei profitiert davon finanziell und die EU politisch."
Politische Folgen sind ambivalent
Die politischen Folgen des Referendums sind für Europa ambivalent. Die grundsätzlichen Probleme, wie der EU-Beitrittsprozess, würden bestehen bleiben, sagt Hakan Akbulut, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Österreichischen Institut für Internationale Politik (ÖIIP) mit Schwerpunkt Türkei. Der Umstand, dass es nach dem Referendum zumindest vorläufig nicht mehr zu Auftritten von AKP-Politikern in Europa kommen würde, würde zu einer Deeskalation beitragen und zu einem besseren Dialog führen.
Das wäre für Themen wie die Nato-Blockade der Türkei gegen Österreich, die Reform der Zollunion mit der EU und den Flüchtlingsdeal wichtig. "Hier hat Österreich überall ein Wort mitzureden", sagt Akbulut. Im Falle eines Sieges und dem damit verbundenen Machtzuwachs würde Erdogan in Europa nicht als Persona non grata gelten.
Beide Seiten müssten pragmatisch agieren, zu stark seien die beiderseitigen Interessen verwoben. Wenn die Präsidentschaftswahl in Frankreich, die Bundestagswahl in Deutschland und die Nationalratswahl in Österreich geschlagen ist, werde man bewusst zu einer Deeskalation und zu Pragmatismus zurückkehren. Sollte das Referendum mit einem "Nein" ausgehen, sei die Frage, wie klar das "Nein" sei. Bei einer knappen Niederlage von einem bis 1,5 Prozentpunkten würde Erdogan einen zweiten Anlauf versuchen, glaubt auch Akbulut. Sollte es ein klares "Nein" geben - was er für unwahrscheinlich hält -, würde der politische Status quo bestehen bleiben und die Türkei von einem starken Präsidenten, der die Regeln ignoriert, regiert werden. Erdogan wäre bei einer Ablehnung seines Vorhabens nicht Geschichte, an einen Rücktritt glaubt Akbulut nicht.
Erdogan würde das Amt bis 2019 innehaben, es seien höchstens Parlamentsneuwahlen vorstellbar. Welches von diesen Szenarien eintreffen wird, ist völlig offen. Das Referendum bleibt laut Umfragen für Erdogan bis zum Schluss eine Zitterpartie.