Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 26 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Für Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet könnte es noch einmal eng werden. Für das Berufungsverfahren über seine Immunität vor dem höchsten britischen Gericht änderte die Staatsanwaltschaft die
Anklage in einem kleinen, aber für den Prozeßausgang möglicherweise entscheidenden Punkt: Sie stützt sich nun auch auf Greueltaten, die Pinochet unmittelbar vor dem Putsch von 1973 und in der Zeit
danach angeordnet haben soll. Erst im Dezember 1974 war Pinochet zum Staatschef aufgestiegen, der ihm nach Ansicht seiner Anwälte strafrechtliche Immunität garantiert. Damit greife die
Immunitätsregelung nicht, sagte Staatsanwalt Alun Jones am Montag. Und einer der sieben Lordrichter soll dabei gemurmelt haben: "Wenn das stimmt, können wir alle nach Hause gehen und die Sache mit
der Immunität vergessen."
Allein die Folter von 70 chilenischen Marineoffizieren zwischen dem 1. und 8. August 1973, also gut einen Monat vor dem Militärputsch am 11. September, sei für eine Auslieferung nach Spanien
ausreichend, sagte Jones. Der Staatsanwalt vertritt vor dem höchsten britischen Gericht die Interessen Spaniens, wo ein Haftbefehl gegen Pinochet wegen Völkermordes, Terrorismus und Folter vorliegt.
Der Haftbefehl war auch die Grundlage dafür, daß Pinochet am 16. Oktober während eines Klinikaufenthalts in London festgenommen worden war.
Strafrechtliche Immunität, werde, wenn überhaupt, erst nach dem Amtsantritt Pinochets als Staatschef wirksam, bekräftigte Jones. "Er kann sich nicht auf Immunität für zuvor begangene Taten berufen."
Allein am Tag des Putsches seien aber mindesten 20 Menschen von den Militärs gefangengenommen, gefoltert und möglicherweise auch getötet worden. Bis zum Ende des Diktatur 1990 stieg die Zahl der
Opfer laut Jones auf rund 4.000.
Der Staatsanwalt zitierte aus einer Akte des Schreckens. So seien Hunde dazu abgerichtet worden, weibliche Gefangene zu vergewaltigen, und Väter dazu gezwungen worden, ihre eigenen Söhne sexuell zu
mißbrauchen. Regimegegner seien in den Konzentrationslagern bis zum Atemstillstand geschlagen worden. Die Prozedur sei nach Wiederbelebungsmaßnahmen wiederholt worden. Folter mit Elektroschocks an
Geschlechtsorganen war demnach an der Tagesordnung. Allein die "Abartigkeit" dieser Verbrechen verbiete jeden Hinweis auf eine strafrechtliche Immunität Pinochets auf der Grundlage des Völkerrechts,
sagte Jones. "Dafür gibt es keine Entschuldigung."
Vor dem höchsten britischen Gericht läuft seit Montag zum zweiten Mal die Anhörung über die Immunität Pinochets. Ein negatives Votum vom 25. November war aufgehoben worden, nachdem einer der Richter
für befangen erklärt worden war. Er hatte verschwiegen, daß er ehrenamtlich für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) arbeitete. Amnesty war als Vertreter der Diktaturopfer bei
dem Prozeß als Zeuge aufgetreten. Falls die "Lawlords" entscheiden, daß dem Ex-Diktator als ehemaligem Staatschef Immunität zusteht, kann er umgehend als freier Mann nach Chile zurückkehren.
Andernfalls droht Pinochet die Auslieferung und ein Prozeß in Spanien.