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"Für Qualität ist kein Platz mehr"

Von Christian Rösner

Die Altwiener Kaffeehauskultur,meint der Oberkellner a.D. stirbt ebenso aus wie ein Stück der Medienkultur mit der Einstellung der "Wiener Zeitung".
© Rösner

Nach einem ganzen Arbeitsleben als Oberkellner spricht der "Herr Stefan" über das Abschiednehmen und zieht Bilanz.


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Eine gefühlte Ewigkeit hat Stefan Rupanovits im Café Schwarzenberg am Schwarzenbergplatz gearbeitet. Der "Herr Stefan", wie man den Oberkellner des Schwarzenberg anzusprechen gewohnt war, ist ein wichtiger Teil der Wiener Kaffeehauskultur gewesen. Mit seiner Pensionierung stirbt ein Teil dieser Kultur - so wie mit der Einstellung der ältesten Tageszeitung der Welt ein Stück heimische Medienkultur verloren geht. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" spricht der "Herr Stefan" über die Wiener Kaffeehauskultur, das Abschiednehmen und über den Wandel der Zeit.

"Wiener Zeitung": Herr Stefan, wie lange waren Sie Kellner im Café Schwarzenberg?

Stefan Rupanovits: Von März 1981 bis März 2023 - also 42 Jahre lang.

Die ganze Zeit als Oberkellner?

Nein, wir hatten am Anfang drei Chefs, dann wurde auf einen Chef und zwei Oberkellner reduziert - seit 1995 war ich dann Oberkellner.

Wie war für Sie das Abschiednehmen nach so vielen Jahren in derselben Tätigkeit?

Ich habe insgesamt 47 Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Es war schwer, von einem Tag auf den anderen aufzuhören, aber heute bin ich froh darüber, dass ich indirekt dazu gezwungen wurde.

Wieso gezwungen?

Ich hatte zwar schon die Jahre beisammen, hätte aber noch zwei Jahre lang bis zu meinem 65 Lebensjahr weitermachen können. Aber will heute lieber junge Menschen in diesem Beruf, da haben Qualität und die Alten keinen Platz mehr.

Warum, denken Sie, ist das so?

Wahrscheinlich, weil die Jungen billiger, hungriger und flexibler sind - und sie sich mehr sagen lassen.

Aber zeichnen sich nicht die Wiener Kaffeehäuser gerade dadurch aus, dass dort - sagen wir so - mit starken Persönlichkeiten ausgestattete Kellner arbeiten?

Sie meinen grantige, unfreundliche Kellner - ja, natürlich, das ist das Image, das ein typischer Wiener Kaffeehaus-Kellner zu pflegen hatte. Aber heutzutage geht es überall nur noch um Umsatz und Gewinnmaximierung. Und wenn dann eine Pandemie hat, die Touristen deshalb ausbleiben und das Kaffeehaus um acht Uhr am Abend leer ist, dann bringt nicht einmal mehr das Grantigsein was - auch wenn es gerade da gerechtfertigt wäre.

Jetzt ist aber die Pandemie vorbei und die Touristen sind wieder da.

Das stimmt - es sind jetzt mehr Touristen denn je. Und die ganze Gastronomie konzentriert sich auf diese Zielgruppe. Aber dadurch verliert der Stammkunde an Bedeutung. Einen guten Kellner hat früher ausgezeichnet, dass er mit den Gästen redet und sich um sie kümmert. Heute muss alles schnell-schnell gehen. Da bleibt für eine gepflegte Konversation keine Zeit. Mir war es immer wichtig, dass ich mich mit meinen Gästen unterhalte - die Jungen machen das nicht. Das ist nicht mehr gefragt.

Haben Sie dieses Image des grantigen Kellners eigentlich gepflegt? Ich habe mich nämlich schon oft gefragt, ob das eine echte Unfreundlichkeit war oder ob das einfach zur Job-Anforderung gehört hat.

Naja, hin und wieder war das schon bewusst so gemacht.

Und die andere Zeit über?

War ich schon einmal auch wirklich grantig - ich meine, da arbeitest du schon den ganzen Tag und dann kommt ein Gast, der sich über irgendeine Belanglosigkeit aufregt und da denk ich mir schon: Oida, wos wüst du eigentlich von mir? Aber auf der anderen Seite habe ich auch immer versucht, charmant zu sein.

Wie hat das ausgesehen?

Das waren halt so Sprüche wie: Habe die Ehre, Herr Hofrat, Herr Kommerzialrat, küss die Hand, gnä Frau. Aber auch das machen die Jungen heute nicht mehr. Die kennen das gar nicht. Aber es ist halt so - das Leben geht weiter, ich genieße meine Pension und die Jungen sollen das machen, was sie für richtig halten. Aber in der Gastronomie kommt halt generell sehr wenig nach. Es gibt immer weniger Personal. Das ist das Hauptproblem.

Warum ist das so, Ihrer Meinung nach?

Unregelmäßige Dienstzeiten, Arbeiten am Wochenende - und die Bezahlung ist auch bescheiden.

Denken Sie, die Altwiener Kaffeehaustradition stirbt aus?

Leider ja. Denn es geht heute viel mehr um Quantität und nicht mehr um Qualität. So wie auch die Touristen heute wichtiger geworden sind als die Wienerinnen und Wiener selbst - so lange, bis dann wieder eine Pandemie kommt. Aber da werden die Wiener den Gastronomen dann auch was pfeifen. Aber keine Frage: Der Tourist ist ein schnelles Geschäft und ein gutes Geschäft. Der Tourist regt sich auch nicht darüber auf, wenn eine Melange 7 Euro kostet und ein Schnitzel 27 Euro. Denn das Wiener Kaffeehaus ist eine international bekannte und renommierte Institution, die man einmal gesehen und erlebt haben muss. Man kann nicht Wien besuchen, ohne einmal hier gewesen zu sein.

Wenn Sie nun so zurückschauen auf 42 Jahre Wiener Kaffeehauskultur: Was hat sich aus Ihrer Sicht am stärksten verändert?

Es ist immer mehr Druck auf die Mitarbeiter gekommen und es sitzt niemand mehr stundenlang im Kaffeehaus und liest Zeitungen. Alles muss schnell gehen. Ich habe mich in den letzten Jahren oft gewundert, warum sich manche hinsetzen, einen Kaffee um 5 Euro bestellen, sofort zahlen wollen und nach fünf Minuten schon wieder aufstehen und gehen.

Das heißt, Timeslots, wie es sie etwa in den USA in der Gastronomie gibt, sind bei uns gar nicht nötig?

Nein, wozu, wenn die Leute eh sofort wieder gehen.

Und die Kellnerschaft als Männerdomäne wurde auch durchbrochen oder?

Naja, 14 Kellner, eine Frau - das würde ich nicht als einen Durchbruch bezeichnen. Aber stimmt schon, früher waren nur männliche Kellner im Kaffeehaus. Vor 20 Jahren ist dann - zumindest bei uns - die erste Frau dazugekommen.

Nehmen Sie ein Kaffeehaussterben wahr?

Ich denke, die guten Kaffeehäuser werden überleben, und die kleinen werden kämpfen müssen.

Das hat man sich beim Café Westend auch gedacht.

Gegenüber ist das Lutz-Restaurant, wo es ein Frühstück mit Kaffee zum Nachschenken um 6,90 Euro gibt. Beim Ikea dort gibt es ein Frühstück um 3,40 Euro. Warum soll ich mich da ins Westend setzen, wo ich allein für den Kaffee so viel bezahle wie dort für ein ganzes Frühstück. Das ist natürlich bei den Ringstraßen-Cafés mit ihrem elitären Umfeld anders.

Angenommen, Sie würden ein Kaffeehaus geschenkt bekommen, was würden Sie anders machen?

Ich würde es nie übernehmen.

Wieso nicht?

Zu viel Arbeit. Ich brauche keine schlaflosen Nächte und keine Sorgen. Da hilft das ganze Geld nichts.

Aber würden Sie auch nur junges Personal einstellen?

Mir würde nichts anderes übrigbleiben. Es gibt nichts anderes. Ich mache Lehrabschlussprüfungen in der Berufschule - da kommt nichts nach. Aber ich verstehe das auch: Erst in der Pandemie habe ich bemerkt, dass es so etwas wie Ostern, Weihnachten und Silvester gibt. In der Gastronomie ist das üblicherweise die Zeit mit der meisten Arbeit.

Gibt es Gewohnheiten aus dem Kellnerleben, die Sie nach Hause mitgenommen haben?

Ich habe das Kaffeehaus immer im Kaffeehaus gelassen.

Gab es ein Abschiedsfest für Sie?

Ich hatte sehr viele Stammgäste, die an meinem letzten Arbeitstag gekommen sind, um mir zu gratulieren und sich zu verabschieden. Da waren sehr viele Politiker, Schauspieler und Musiker dabei - sogar der Vorstandsvorsitzende von Vivatis, Gerald Hackl, hat mir persönlich geschrieben, was mich sehr gefreut hat. Ich möchte keine Sekunde missen, aber irgendwann muss genug sein.

Und was haben Sie jetzt vor?

Ich arbeite noch geringfügig in einem Hotel und habe im Burgenland eine kleine Landwirtschaft, mit der ich mich beschäftige. Dann will ich noch reisen. Alles ganz gemütlich.