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Fürwahr, Brexit tut not

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.
© Barbara Stanzl

London inszenierte das Gedenken an den Waffenstillstand von 1918 als Vorlage für Rechtspopulisten.


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Zum 100. Jahrestages des Waffenstillstandes zwischen dem Deutschen Kaiserreich und der Entente cordiale gab es bemerkenswerte Rituale des Gedenkens. In Kontinentaleuropa dominierten Niemals-wieder-Gelöbnisse. Die in Paris von Präsident Emmanuel Macron eingeladenen Staatsführer von Kanzlerin Angela Merkel bis Präsident Wladimir Putin ließen die Helden ruhen und sparten sich jede Kontemplation, ob und wenn ja, wie gern sie sich für Vaterland, BIP oder ihre Monarchen meucheln ließen. Die Nachfahren der "Schlafwandler" (© Christopher Clark) schienen die Last der Verantwortung auf ihren Schultern zu spüren. Wenn dem so war, haben sich Veranstaltungskosten und diverse Reisespesen gelohnt.

Nichts davon beim Gedenken der Briten in London. Sie inszenierten, was Kontinentaleuropäer von heute als Gala des Rechtspopulismus niederschmettern würden. Einmal mehr bewiesen sie, dass sie vom Festland weiter entfernt sind und sein wollen als bloß die paar Meilen Breite des Ärmelkanals. Würde Jarosaw Kaczynski in Polen oder Viktor Orbán in Ungarn Derartiges inszenieren, würde alles, was in Europa links von Horst Seehofer steht, über sie herfallen.

Den musikalischen Rahmen besorgten Einlagen, die dem internationalen TV-Publikum aus der "Last Night of the Proms" geläufig sind. Aber nicht als Gaudi, sondern zu militärischem Drill und tierischem Ernst. Der Erste Weltkrieg nicht als einer der Tiefpunkte der Neuzeit, sondern als Chance für einfache Kerle, Helden zu werden, auf die nachkommende Generationen stolz sein könnten. Etwas wie "Immer bereit" hing in der Luft, wozu eine Staffel von Bischöfen aller Varianten des Christentums ihren Segen gab. Wie 1914. Um das Datum solcherart zelebrieren zu können, mussten historische Fakten verdrängt werden. Dass im Ersten Weltkrieg Völker von ihren herrschenden Kasten sinnlos aufeinandergehetzt worden und nicht, wie 1939, gegen Diktatur, Unkultur und Barbarei einer irren Bande angetreten waren, blieb diffus. Sätze wie "Mein Urgroßvater starb 1917 in Flandern, damit wir in Freiheit leben können", wirkten wie Nebelkerzen.

Zwischendurch immer wieder Reminiszenzen an die Tage des Empires mit seinen stolzen Regimentern. Etwa zu den Füsilieren mit ihren schmucken Baretten, die sie nach geschlagener Schlacht laut Sky-News-Kommentator ins Blut der gefallenen Feinde tauchten. Dazu die Fahnen verdienter Regimenter im Novemberwind. Etwa die des Regiments, das beim Ostersonntag-Aufstand in Dublin 1916 mit Kanonen auf Zivilisten feuerte, aufmüpfige Inder zu Zigtausenden niederdrosch und unbewaffnete Juden mit Gewehrkolben daran hinderte, das versprochene Israel (damals noch Palästina) zu betreten. Und dazu als Höhepunkt der Ergriffenheit der ewig gültige Tagesbefehl der Royal Navy: "Rule Britannia, Britannia Rule The Waves."

Dazu durften aus den Ländern des Commonwealth eingeflogene Regierungschefs ihre Kränze niederlegen. Wie in den besten Jahren des Kolonialismus erledigten sie brav ihre Aufgabe. Unter ihnen die Regierenden von Botswana, Ghana, Lesotho, Malawi, Mozambique, Ruanda, Bangladesh, Belize, Trinidad und Tobago, Tonga, Tuvalu und Vanuatu. Allesamt beachtliche Größen im Außenhandel der Briten, falls die Brexit-Verhandlungen ohne Deal enden. Dass etliche menschenrechtsverachtende Halunken unter den Exoten waren, störte die Veranstalter nicht; dass die Veranstalter wiederum bis in die jüngere Geschichte als weiße Master deren Länder ausbeuteten, störte dafür die Eingejetteten nicht. Fürwahr, Brexit tut not.