Fußball als Fundament fürs ein Leben ohne Gewalt in Kapstadt. | Drogendealerei ist für viele der Einstieg ins Verbrechertum. | Kapstadt. An Fußball ist nicht zu denken. Die Sonnenstrahlen knallen auf ein Meer von Dächern. Schachbrettartig angelegte Häuser wohin das Auge reicht. Die Sonne führt die windgepeitschte Ebene in ihrer ganzen Leere vor. Zwischen Werbeblock und Popschlager ertönt eine Stimme aus dem Autoradio. In den heißesten Gebieten Kapstadts werde es an diesem Tag 47,5 Grad haben. Die Cape Flats müssen dazugehören. Diese große, sandige Ebene östlich der Innenstadt, die entlang der Flughafenautobahn N2 liegt und von manchen als "die Müllhalde der Apartheid" beschrieben wird. Ab den 1950er Jahren wurde das
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Gebiet für Menschen zur Heimat, die von der damaligen Apartheidregierung als Nichtweiße klassifiziert wurden.
"Heute lassen wir sie nur herumlaufen. Fürs Fußballtraining ist es viel zu heiß. Sie sollen sich mit dem Wasserschlauch abkühlen." Noch fehlen acht Buben im Alter zwischen sieben und neun Jahren. Die unter Siebenjährigen sitzen bereits im Kleinbus.
Vom Elektrikerzum Fußball-Trainer
"Auch wenn manche gar nicht spielen wollen, möchten sie dennoch durch die Gegend fahren", sagt Shueb Dunshire, der mit seinem Bus eine schnurgerade Straße nach der anderen nimmt und immer wieder vor einem kleinen Häuschen oder einem mehrstöckigen Wohnblock stehen bleibt. "In den Hochhäusern leben die Ärmeren. Hier gibt es die meisten Gangs." Shueb hupt und ruft aus dem Autofenster. Zwei Buben rennen aus dem Schatten des Gebäudes, springen in den Wagen, knallen die Schiebetür zu und quetschen sich zu den anderen Kindern. "Dieser Job ist so anders als jeder andere Job, den ich zuvor gemacht habe. Eine ziemliche Herausforderung", meint lächelnd Shueb.
Der Ex-Elektriker ist Fußballtrainer bei Great Commission United, einem Club mit 250 Spielern im Alter von vier bis neunzehn Jahren. Der FC GCU, wie ihn jeder bei seiner englischen Kurzform kennt, wurde 2001 von Mario van Niekerk gegründet. Auf dem Areal der Woodlands Schule, die so aussieht, als ob sie seit ihrer Gründung vor 40 Jahren niemals renoviert wurde, finden jeden Nachmittag die Trainingseinheiten statt. "Der Fußballclub arbeitet mit der Schule zusammen", erklärt Mario, der knietief im Schutt steht. "Vor zehn Jahren wurden ein paar Klassenräume Opfer von Vandalismus. Wir wollen sie wieder aufbauen. Fußball ist eine Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Natürlich ist die Chance sehr klein, es bis zu Manchester United zu schaffen, obwohl einige Kids ziemlich viel Talent haben, aber wir wollen zumindest eine positive Atmosphäre in unserer Community schaffen. Hier haben in den letzten 40, 50 Jahren die Gangs alles dominiert."
District Six wurde zu einer "weißen Zone"
Mario van Niekerks Community heißt Heideveld. Das Viertel entstand in den späten 1960er Jahren, als die Menschen aus dem District Six in der Innenstadt von Kapstadt zwangsumgesiedelt wurden. Der ehemalige District Six war im späten 19. Jahrhundert Wohnort für freigelassene Sklaven, Händler, Künstler, Arbeiter und Immigranten. Als am Anfang des 20. Jahrhunderts die Ausgrenzungspolitik stärker wurde, mussten vor allem Schwarze das Gebiet verlassen. Mit dem "Group Areas Act", dem "Gruppen-Gebiete-Gesetz" von 1950, erklärte die Regierung schließlich den District Six zu einer "weißen Zone". Bis 1982 wurden über 60.000 Menschen aus dem District Six vertrieben und, je nachdem ob schwarz oder farbig, in die Townships in den Cape Flats umgesiedelt. Der Titel und die Handlung des erfolgreichen US-amerikanischen Science-Fiction-Films "District 9" von 2009 sind angelehnt an die Ereignisse, die in District Six während der Apartheid stattfanden.
Heideveld wurde zur neuen Zwangsheimat der Coloureds, der Farbigen, wie Mario van Niekerks Familie: "Als ich ein Kind war, gab es hier gar nichts. Und heute gibt es noch immer nichts. Daher ist alles, was man hier als Kind lernt, in einer Gang zu sein. Man kann die Kinder nicht beschuldigen, wenn sie mit Drogen dealen, weil sie eine schlechte Schulausbildung haben und später keine Jobs finden." Die Alphabetisierungsrate in Heideveld liegt bei 24 Prozent. Im Durchschnitt scheidet ein Kind mit 12 Jahren aus der Schule aus. "Daher ist es doch ganz naheliegend, dass sie etwas tun, in dem sie gut sind, und das ist Gangsterei." Mario van Niekerk war so ein Kind. Er war elf Jahre alt, als er mit dem Gangleben begann. Zehn Jahre lang. "Ich habe meinen Vater verloren, deswegen bin ich da hineingerutscht. Ich glaube, ich habe nach einer Vaterfigur gesucht und nach Liebe."
Drogendealerei ist der Einstieg ins Verbrechertum, Einbrüche und Überfälle der Aufstieg und Gefängnis wegen Mord der Ausstieg, auch aus der Gesellschaft. Mario hat rechtzeitig die Kurve gekratzt. Ausgerechnet der Ex-Gangster mit den Zahnlücken und der großen Faust hat Halt im Glauben gefunden. Daher kommt auch der Name für den Fußballclub in Anlehnung an seine christliche Gemeinde. Heute kann Mario nicht mitansehen, dass ein Kind dasselbe durchmacht wie er: "Deswegen habe ich den Fußballclub gegründet. Fußball hilft. Da können sie kämpfen, ohne Schießerei. Ich habe im Laufe der Jahre beobachtet, dass es auf dem Fußballfeld keine Sorgen gibt. Sobald sie ihre Trikots anziehen, sind sie glücklich. Auch wenn manche überhaupt nicht mit dem Ball kicken können, nehmen wir sie auf, damit sie nicht in die Hände der Gangster geraten und missbraucht werden."
Mit vier Jahren beginnen die Kinder im Fußballclub zu spielen. "Man muss so früh in unserer Community beginnen, weil ab 7, 8 Jahren die Kinder in Gangaktivitäten hineingezogen werden." Der zweifache Vater Mario, dessen elfjähriger Sohn nach dem berühmten französischen Fußballspieler Zinedine benannt ist, möchte mit seinem FC GCU ein gutes Fundament fürs Leben legen. "Die Gesellschaft hilft dir nicht, wenn du auf die schiefe Bahn geraten bist. Wenn du ein Gangster bist, bist du für sie wie ein Virus. Aber
es ist doch nur ein Haufen Kinder, bei dem die Gesellschaft versagt hat." Der unermüdliche Optimist, der Ja schreit, wenn andere
Nein sagen, träumt von einer Fußball-Akademie. Doch dafür fehlt das Geld.
Zuerst nicht weiß genug, jetzt nicht schwarz genug
Aber schon jetzt werden die Kinder neben dem Fußballtraining mit Essen versorgt. Und sie bekommen Überlebenstraining. 80 Prozent der Kinder von Heideveld haben keine Väter, schätzt Mario. "Die sind weg. Abgehauen. Aus ihren Leben verschwunden." Dem gegenüber steht ein enormer Drogenmissbrauch. Meth, Heroin, Marihuana. "Was mich wirklich ärgert, ist, dass jetzt im Zuge der Fußballweltmeisterschaft vom neuen Südafrika gesprochen wird. Aber werden die Buben ihre Helden in den Stadien sehen?
Wir werden in unserer Nachbarschaft keine Fanzonen haben. Nichts wird es geben. Alle werden an unserer Community vorüberziehen. David Beckham war in den Cape Flats. Aber er war in Khayelitsha, wo die Schwarzen wohnen. Wir Coloureds waren während der Apartheid nicht weiß genug, jetzt sind wir nicht schwarz genug. Wir sind irgendwo dazwischen. Das alles trägt zum Gangstertum und Drogenmissbrauch bei. Wir stecken in einer Identitätskrise. Wir wissen in unserem eigenen Land nicht, wer wir sind. Aber Fußball hilft wie gesagt. Es ist eine Sprache, die jeder spricht. Unser Fußballclub spielt regelmäßig gegen einen Club aus Gugulethu, einem schwarzen Township. Am Samstag waren wir gemeinsam schwimmen. Es geht nicht um den Fußball, es geht ums Leben. Das ist wichtiger als der Ball."