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Fußball holt Kids von der Straße

Von Sven Runde

Wissen

Wenn der kleine Fernando Fußball spielt, ist die Welt für ihn in Ordnung. Die Lederkugel lässt ihn zumindest vorübergehend das Elend in den Slums von Quito vergessen. Außerdem wartet nach dem Training ein warmes Essen auf den Buben - in der von Armut geprägten Hauptstadt Ecuadors keine Selbstverständlichkeit.


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Wie Fernando betreut die Ordensgemeinschaft Salesianer Don Boscos allein in ihren mehr als 550 Jugendzentren in Lateinamerika tausende Kinder wie Fernando, ermöglichen ihnen Schul- und Ausbildung. Fußball ist dabei häufig der Schlüssel, um die Kids von der Straße zu holen.

Mit der deutschlandweiten Initiative "Fußball für Straßenkinder" will die Hilfsorganisation im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft nun die Schüler für den Kampf gegen die Not ihrer Altersgenossen gewinnen. "Die Kinder dort sind dankbar für jede Mahlzeit, die sie nicht erbetteln müssen", erzählt Hans-Jürgen Dörrich, Geschäftsführer des Don Bosco-Fördervereins "Jugend Dritte Welt" in Bonn und Mitorganisator der Initiative.

In diesen Tagen gehen 16.000 Briefe an deutsche Schulen, Fußballvereine und Pfarrgemeinden. Ihr Inhalt: Unterrichtsmaterialien zu Armut, Fußball und den lateinamerikanischen WM-Teilnehmerländern sowie die Bitte, "Fußball für Straßenkinder" mit eigenen Benefizspielen oder Spendenaktionen zu unterstützen. Denn aus Brasilien, Ecuador, Paraguay, Mexiko, Uruguay, Costa Rica und Argentinien stammen nicht nur viele der weltbesten Kicker, sondern auch Millionen verarmter Menschen.

Allein in Ecuador, sagt Dörrich, leben rund drei Viertel der 13 Millionen Menschen in Armut. In dem kleinen Andenland muss nach Berichten des Kinderhilfswerks UNICEF sogar jeder Fünfte mit weniger als einem US-Dollar (rund 1,10 Euro) pro Tag auskommen. Kaum besser ist die Lage dem Kinderhilfswerk zufolge in den Nachbarstaaten. In Brasilien etwa schließt jedes dritte Kind nicht einmal die Grundschule ab. "Viele von ihnen landen auf der Straße", sagt UNICEF- Sprecher Rudi Tarneden.

Auf den Gehsteigen der großen Metropolen trinken sie Alkohol, schnüffeln Kleber, überfallen Passanten oder versuchen durch schlecht bezahlte Jobs etwas Geld für sich und ihre Familien zu beschaffen. Fernando verkauft seit einiger Zeit Lose. "Das ist zwar besser als Betteln", meint Dörrich. Doch die mehr als 2.500 Ordensangehörigen in den WM-Ländern wollen mehr. Sie gehen täglich zu den Kindern auf die Straße, laden sie in die Jugendzentren ein und versuchen sie davon zu überzeugen, neben ihrer Arbeit regelmäßig in die Schule zu gehen.

Ihren Erfahrungen nach steigert Fußball die Lernbereitschaft der Kinder. "Der Sport hält die Jugendlichen von vielen Gefahren der Straße ab", spricht Roque Santa Cruz aus eigener Erfahrung. Bevor er beim FC Bayern München zum Stürmerstar wurde, besuchte er eine Salesianerschule in Paraguay. Heute spielt Santa Cruz für die Nationalmannschaft seines Heimatlandes und unterstützt mit Benefizauftritten die Projekte seiner einstigen Wohltäter. Finanziert durch Spenden und staatliche Mittel helfen die Salesianer seit mehr als hundert Jahren, an Ort und Stelle die nötige Infrastruktur aufzubauen. Mit den Erlösen aus der aktuellen Briefaktion soll zunächst eine neue Fußballschule in Quito gebaut werden.

"Fußball ist ein ständiges Transportmittel aus der Armut", sagt auch Wolfgang Watzke, Geschäftsführer der DFB-eigenen Egidius-Braun- Stiftung. In deren Waisenhaus im mexikanischen Querétaro werden bis zu 100 Kinder betreut und verpflegt. Ohne Ball läuft auch da nichts. "Beim Doppelpass lernen sie Teamgeist und Respekt voreinander." Teamgeist wollen auch die deutschen Schüler beweisen. "Die Bereitschaft zu helfen ist groß", sagt Schleswig-Holsteins Landesschülersprecher Malte Wohlfahrt. Er ist von einem positiven Echo auf die Straßenkinder-Initiative überzeugt. Das Thema sei zwar traurig. "Doch das ist praxisnaher Unterricht, wie wir Schüler ihn wollen."

Internet: http://www.fussball-strassenkinder.org