Seit zwanzig Jahren streitet man in Österreich um den Ausbau des 380-Kilovolt-Netzes. Mit jedem Jahr, mit dem sich der Lückenschluss weiter verzögert, steigt das Risiko eines großflächigen Stromausfalls.
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Das Problem ist folgendes: Die meisten großen Kraftwerke in Österreich befinden sich im Norden, entlang der Donau. Der Süden, besonders die Steiermark, hat hingegen zu wenig Stromproduktion. Damit der Strom einfach vom Norden in den Süden gelangen kann, wäre eine 380-KV-Leitung nötig. Diese endet jedoch im südlichen Burgenland.
Fast der gesamte Süden Österreichs hängt an einer 220-KV-Leitung, die über Ternitz läuft. Regelmäßig werden bei dieser Leitung die Sicherheitsgrenzen für die Kapazität überschritten.
Wenn aufgrund eines Stromausfalls irgendwo in Europa (wie zuletzt am 4. November) plötzlich große Mengen Strom von Norden nach Süden bewegt werden, gibt es bei der Ternitz-Leitung kein Sicherheitsnetz. Notabschaltungen und großflächige Blackouts wären die Folge.
Anrainerbeteiligung
Es ist unbestritten, dass das größte Problem für die heimische Versorgungssicherheit die Lücken im Hochspannungsnetz sind. Ein rascher Ausbau läge daher im Interesse der Allgemeinheit. Ebenso unbestritten ist, dass eine zivilisierte Demokratie bei Bauvorhaben den betroffenen Anrainern Einspruchsrechte gewähren muss. Die Schlüsselfrage ist, wie so oft, die richtige Balance zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den direkt Betroffenen.
Wenn Entscheidungen über wichtige Infrastruktur-Vorhaben allerdings mehrere Jahrzehnte dauern (20 Jahre bei der 380-KV-Leitung in der Steiermark, mehr als 30 Jahre bei der Südumfahrung Wiens), ist die Frage berechtigt, ob das Gesetz die richtige Balance getroffen hat. Derartig lange Unsicherheiten liegen in niemandes Interesse - weder der Anrainer, noch der Allgemeinheit.
Natürlich kann man, so wie Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, der Meinung sein, dass der Rechtsrahmen für den raschen Ausbau des Stromnetzes in Österreich ausreicht, und nur mangelnder politischer Rückhalt schuld an den Verzögerungen ist. Was die "richtige" gesetzliche Balance ist, darüber kann man schließlich lange und trefflich streiten.
Etwas merkwürdig mutet aber an, dass die Regierung zwar bei einer wichtigen Stromleitung, die 20 Jahre verzögert wird, keinen Handlungsbedarf beim Gesetz sieht, bei Fußballstadien und Autorennstrecken hingegen schon.
Denn im Fall des EM-Stadions Klagenfurt und des Projektes Spielberg hat die Regierung vor mehr als einem Jahr sehr wohl das Gesetz über Umweltverträglichkeitsprüfungen geändert - mit dem Ziel, diese beiden Bauvorhaben zu beschleunigen, beziehungsweise überhaupt zu ermöglichen.
Fußball- und Motorsport-Fans werden es der Regierung wohl danken. Alle anderen dürften sich wohl eher wundern. Seite 25