Die Geistesleistungen von Menschen und Raben haben Gemeinsamkeiten.
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Wenn der Biologe Thomas Bugnyar vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien Überraschungseier kauft, denkt er nicht nur an Kinder, sondern auch an Kolkraben. Die großen Vögel mit dem schwarzen, metallisch glänzenden Gefieder finden nämlich rasch eine Verwendung für die kleinen Plastikfiguren in den Eiern. Hat einer von ihnen eine im Schnabel, kommt meist ein zweiter angewackelt und krächzt ein "will ich haben". Eine Gelegenheit zum Spielen - und schon ist ein munteres Treiben in der Volière der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im Cumberland-Wildpark Grünau im Almtal im Gang.
Typischerweise zeigen Menschenkinder in ihren ersten Lebensjahren Erwachsenen Gegenstände. "So nehmen sie Kontakt auf und richten spielerisch die Aufmerksamkeit anderer auf Objekte", erklärt Bugnyar. Die einfache Geste scheint ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Sprechen zu sein. Bei Menschenaffen kommen vergleichbare Gesten selten vor. Laien mag das Verhalten der Rabenvögel daher überraschen. Der Forscher aber wundert sich kaum: "Kolkraben gelten als sehr intelligente Vögel, deren Leben durchaus Ähnlichkeiten mit hochentwickelten Säugetieren, ja sogar mit menschlichen Gemeinschaften haben kann", erklärt er.
Kolkraben und Menschen sind gleichermaßen Nahrungsopportunisten, die fressen, was ihnen vor den Schnabel kommt. Diese Ernährungsstrategie klappt in verschiedenen Lebensräumen - allerdings nur, wenn man genug Grips hat, um auch dort Nahrhaftes zu finden, wo andere Arten aufgeben. Prompt tauchen sowohl Raben als auch Menschen gleichermaßen in Halbwüsten, Hochgebirgslagen, Wäldern und auf Ackerflächen auf. Auch in Städten, wie Berlin, brüten mindestens 30 Kolkrabenpaare. Die erwachsenen Tiere leben oft in dauerhaften Beziehungen mit festen Wohnsitzen. Ledige Raben und Jungvögel dagegen treffen sich in lockeren Gruppen und streifen gemeinsam umher.
Mit Gesten können sie zeigen, dass sie kontaktbereit sind. Allerdings fragt sich Bugnyar durchaus, ob sich die Kolkraben in ihrer Volière vielleicht nur langweilen und mit dem Spielzeug im Schnabel anderen Tieren signalisieren: "Komm’, lass’ uns Abwechslung in den Alltag bringen!" Das wäre dann natürlich auch eine Aufmerksamkeit heischende Geste.
Steinchen und Moosstücke
"Interessanter aber wäre es, solche Gesten auch bei Vögeln in der Natur zu beobachten", erklärt Bugnyar. Zusammen mit Simone Pika vom Max-Planck-Institut für Ornithologie beobachtete er daher frei lebende Raben im Almtal. Immer wieder hielten auch diese Tiere Gegenstände aus dem Raben-Alltag, wie Steinchen, Moosstücke oder Zweige, im Schnabel und bauten sich damit vor den Artgenossen auf. Ein Krächzen oder ein Kraulen des Gefieders signalisiert dem gestikulierenden Vogel dann "gib mir doch deinen Zweig". Selbst ältere Tiere meinen damit: "Lass’ uns spielen".
Möglicherweise haben den beiden Arten, Mensch und Kolkraben, ähnliche Lebensumstände den Anstoß für solche Verhaltensweisen gegeben. Tatsächlich fanden die Forscher weitere Ähnlichkeiten. Denn das Leben ist bei in komplexen Sozialsystemen lebenden Arten nicht immer nur eitel Sonnenschein. Oft gibt es auch Reibereien, immer wieder einmal einen handfesten Streit. Bei den Raben fliegen da durchaus die Federn und der unterlegene Vogel steckt einige schmerzhafte Schnabelhiebe von seinem Kontrahenten ein. Menschliche Verlierer sind nach einem Streit niedergeschlagen. Den Kolkraben scheint es nicht anders zu gehen. Genau wie bei Menschengruppen entstehen aber auch zwischen Raben engere Beziehungen, die stark an Freundschaften erinnern. "Solch gute Freunde kraulen nach einer verlorenen Prügelei mit dem Schnabel sanft das Gefieder des Unterlegenen", sagt Bugnyar. Das offensichtliche Trösten deutet auf einige Geistesleistungen hin: Der Freund muss wissen, dass der Verlierer in seelischen Nöten ist, und das richtige Gegenrezept kennen. Kolkraben merken, wie notwendig ihr Trösten ist: Nach ernsthaften Auseinandersetzungen kraulen Freunde den Unterlegenen häufiger als nach harmlosen Rempeleien.
Auch andere Rabenvögel verblüffen mit geistigen Leistungen, die menschlicher Intelligenz nahekommen. Eine davon ist das "Generalisieren": Hat man einmal gelernt, ein Problem mit einer bestimmten Methode zu lösen, wendet man diese auch für andere Probleme an. So schlagen Menschen nicht nur mit dem Hammer Nägel in die Wand, sondern nehmen auch Steine, um etwas in den Boden zu treiben.
Larven und Würmer
Ornithologen der Queen Mary University in London und der Universität Cambridge haben Saatkrähen dabei beobachtet, wie sie mit ihren Schnäbeln Steinchen auf ein von den Forschern aufgebautes Gerüst warfen. Hatten sie die richtige Steingröße und zielten gut, fiel das Gerüst ein und die Rabenvögel kamen an eine köstliche Larve heran. Einmal gelernt, wendeten die Saatkrähen das Steinchenwerfen auch bei anderen Problemen an. Etwa schwammen Würmer in einem aufrecht stehenden Plastikröhrchen gut sichtbar im Wasser. Für den Krähenschnabel war das Röhrchen jedoch zu eng. Die Krähen nahmen die größten Steinchen in die Schnäbel, die in das Plastikröhrchen passten. Nach einigen Steinwürfen war der Wasserspiegel im Rohr so stark gestiegen, dass die Würmer sich hoben und die Vögel die Leckerbissen packen konnte.
Natürlich gibt man Problemlösungen auch an Artgenossen weiter. Nicht nur bei Menschen bilden sich Traditionen, sondern auch bei anderen in Gruppen lebenden Arten. Zwischen Menschen und Raben gibt es also etliche Gemeinsamkeiten, was die Geistesleistungen betrifft.