Präsidentensohn steht laut Historiker Fürtig für Kontinuität des Regimes. | "Für Unzufriedene Muslimbrüderschaft authentische Oppositionskraft." | "Wiener Zeitung": Besitzt Präsident Hosni Mubarak überhaupt irgendeine Popularität in der Bevölkerung oder hält er sich nur wegen des repressiven Staatsapparats an der Macht?
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Henner Fürtig: In den letzten Jahren haben die Zustimmungsraten für Präsident Mubarak und sein Regierungssystem dramatisch abgenommen. Man wirft ihm zwei Dinge vor: Erstens eine totale Stagnation in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Zweitens eine Vasallenrolle gegenüber den USA, was sowohl am ägyptischen Verhalten im Irak-Krieg als auch am Stillstand rund um die Lösung des Nahost-Konflikts festgemacht wird.
Welche Rolle kann der Präsidentensohn Gamal Mubarak in Zukunft spielen?
Gamal Mubarak hat für sich als Person genommen eine seriöse Ausbildung als Banker. Er hat in dieser Funktion auch in London gewirkt und man hat ihm bescheinigt, dass er sein Handwerk versteht. Er ist aus Familienräson in seine Heimat zurückgekehrt und wird als Nachfolger seines Vaters aufgebaut. Sein Handicap ist, dass er den Namen Mubarak trägt. Damit sendet er - ungeachtet seiner vorhandenen persönlichen Fähigkeiten - an die Bevölkerung das Signal, dass das abgewirtschaftete Regime fortdauert. Und das wird ihm schaden.
Gibt es in der Nachfolgefrage Alternativen zu Gamal Mubarak?
Es wird eine ganze Reihe von Personen gehandelt. Immer wieder taucht etwa der Name des Geheimdienstchefs Omar Suleiman auf. Er würde sicherstellen, dass auch der nächste Präsident aus dem Militär kommt. Alle Präsidenten seit 1952 entstammen der Armee. Sie haben lediglich bei der Amtsübernahme die Uniform in den Schrank gehängt und den feinen Zwirn angezogen. Es wäre ein absolutes Novum, wenn mit Gamal Mubarak ein Zivilist Präsident wird. Insgesamt werden eine Menge Namen gehandelt, aber es gibt keinen Favoriten.
Was passiert, wenn Hosni Mubarak sein Amt nicht mehr ausüben kann? Immerhin ist er schon 82 Jahre alt.
Mubarak hat im Gegensatz zu seinen Vorgängern nie einen Vizepräsidenten ernannt. Aber es hat 2009 eine Verfassungsänderung gegeben, die vorsieht, dass der Parlamentspräsident in so einem Fall interimistisch die Funktion des Staatsoberhauptes bis zu Neuwahlen übernimmt. Es gibt also keine Verfassungskrise, aber es beginnt der politische Grabenkampf.
Und dieser spielt sich dann innerhalb der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) oder auch mit der Muslimbrüderschaft ab?
Ich glaube, dann werden die Karten völlig neu gemischt. Innerhalb der NDP werden Fraktionskämpfe ausbrechen und auch die unterdrückte Muslimbrüderschaft wird ihre Chance wittern.
Wie radikal ist die Muslimbrüderschaft? Ist es eine Oppositionsbewegung oder eine zutiefst religiös-fundamentalistische Gruppierung?
Eines muss man klipp und klar sagen: Seit 1981, also unmittelbar nach der Ermordung von Anwar as-Sadat (damaliger Präsident, Anm.), hat die Muslimbrüderschaft der Gewalt als Instrument zur Erreichung politischer Ziele abgeschworen. Man kann ihr vieles vorwerfen, aber dieses Versprechen hat sie fast 30 Jahre lang gehalten. Die Muslimbrüderschaft ist ein politisches Phänomen, dem man mit politischen Mitteln begegnen muss. Das schafft das Regime nicht, und das bewirkt einen Zulauf für die Muslimbrüderschaft. Die Unzufriedenen sehen in ihr die einzige authentische Oppositionskraft, und das macht sie so stark.
Kann Mohammed ElBaradei, der Ex-Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, eine Alternative zu Mubarak aufbauen?
Baradei ist populär. Aber er hat unterschätzt, dass große Teile der ägyptischen Bildungsbürgertums eine noch prominentere Rolle der Muslimbrüderschaft nicht gutheißen, auch wenn sie in Opposition zum Regime stehen. Er hat sich in deren Augen verdächtig gemacht, da er engen Kontakt mit der Muslimbrüderschaft aufgenommen hat. Da hat er vielleicht auch ein bisschen politisches Lehrgeld bezahlt. Insgesamt sehe ich aber seinen Stern als politische Person der Zukunft noch nicht verglüht.
Der Arabist und Historiker Henner Fürtig ist der Direktor des Hamburger GIGA-Instituts für Nahoststudien.