Zum Hauptinhalt springen

Gänse fliegen Achterbahn

Von Alexandra Grass

Wissen
Ihre Flugstrategie erlaubt den Streifengänsen eine Schonung ihrer Ressourcen.
© Corbis/John Downer

Um über den Himalaya zu gelangen, nutzen die Tiere Tiefflüge zur Energieersparnis.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien/Bangor. Streifengänse haben Durchhaltevermögen zu beweisen, wenn sie von ihrem Winterquartier in Indien die Brutgebiete in China und der Mongolei erreichen wollen - und umgekehrt. Auf ihrer Route müssen sie nämlich das Himalaya-Hochgebirge überwinden. Dabei setzen die Tiere auf Achterbahnfeeling, wie ein internationales Forscherteam nun herausfand. Dies spart Energie und lässt sie damit fitter am Zielort ankommen.

Bisher war man davon ausgegangen, dass sich die Vögel von den Monsunwinden in die luftigen Höhen von 7000 bis 8000 Metern tragen lassen und dort ihre Strecke weiterführen. Die in derartigen Gefilden erschwerte Anforderung an den Körper, Sauerstoff aufzunehmen, überstehen sie durch eine spezielle Anpassung. Anders als bei Säugetieren oder anderen Vögeln ist ihr roter Blutfarbstoff, das Hämoglobin, in der Lage, Sauerstoff auch bei niedrigem Druck besonders schnell aufzunehmen.

62 Meter über dem Boden

Doch fliegen die Streifengänse (Anser indicus) nicht in gleichbleibender Höhe, sondern nützen jedes Tal aus, um achterbahnartig und damit streckenweise wieder in tiefere Lagen zu gelangen. Immerhin verbringen die Tiere 98 Prozent ihrer Flugzeit unter 6000 Meter Höhe, wobei sie das Hochland mit einem durchschnittlichen Abstand von rund 62 Metern zum Boden überfliegen, wie die Forscher um Charles Bishop von der Bangor University in "Science" berichten.

Während ihres Fluges fällt der Luftdruck von 100 Prozent bei Meereshöhe auf etwa 50 Prozent bei 5500 Metern bis auf nahezu 33 Prozent am Gipfel des Mount Everest. Obwohl sich die Luft in allen Höhen gleichmäßig aus 79 Prozent Stickstoff, 21 Prozent Sauerstoff und 1 Prozent Kohlendioxid zusammensetzt, kommt es in hohen Lagen zu einem Sauerstoffmangel. Denn durch die Abnahme des Luftdrucks nimmt auch der anteilige Sauerstoffdruck ab, der das lebensnotwendige Gas in die Lungen presst. So wird auf 5000 Metern der Sauerstoff nur noch mit halbem Druck in die Lungenbläschen gepresst. Am Gipfel des Mount Everest gar nur noch mit einem Drittel.

Vorbildlich risikoarm

Ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr würde ein Mensch dort innerhalb kurzer Zeit zu Tode kommen. Sogar für Extrembergsteiger ist ein Überleben bei mehr als 48 Stunden Aufenthalt extrem unwahrscheinlich. Die Streifengänse sind dem allerdings gewachsen, versuchen aber trotzdem, diese extremen Höhen zu meiden.

Mittels eigener, den Vögeln direkt unter die Haut eingesetzter Implantate, die Herzschlag, Körpertemperatur und Luftdruck aufzeichneten, konnten die Forscher die Flugweise nachskizzieren. Aufgrund des abfallenden Luftdrucks müssen die Tiere demnach in hohen Lagen öfter mit den Flügeln schlagen, was zu einem erheblich höheren Energieverbrauch führt. Schon in 5000 Metern ist der Energieaufwand den Forschern zufolge für jeden Flugkilometer 1,7 Mal höher als auf Meeresniveau. Das ist die Durchschnittshöhe, auf der die Vögel unterwegs waren. Das Herz schlägt dabei 328 Mal pro Minute. Wären sie hingegen permanent auf 8000 Metern, würde ihr Herz mit 450 Schlägen pro Minute nur so dahinrasen.

"Streifengänse haben einen Weg gefunden, das weltweit höchste Landmassiv zu durchkreuzen und dabei ihre physiologischen Ressourcen zu schonen", erklärt Nyambayar Batbayar vom Wildlife Science and Conservation Center of Mongolia in "Science". Auf dieser Wegstrecke sind außerdem nicht nur Gegen- und Seitenwinde seltener, sondern auch so mancher Aufwind kräfteschonend.

Die Achterbahn-Technik und die Tatsache, dass die Tiere großteils nachts fliegen, erlaubt es ihnen, die Vorzüge der geographischen Gegebenheiten zu nutzen, um ihren Energieaufwand zu minimieren. Damit haben die Streifengänse für ihre Wanderungen eine vorbildlich risikoarme Strategie gewählt.