Unterrichten mit Humor und Dialogbereitschaft. | Weniger Gewalt und bessere Noten. | Großer Andrang für Lehrgänge. | Wien. "Pfau, da liegt ein super Handy. Geil! Das nehm ich mir", sagt der Lehrer - woraufhin er erst einmal verdutzte Blicke der Schüler erntet, von denen einzelne schließlich mit "Geil!" oder "Cool!" antworten. In diesem Moment hält die Fachkraft inne, überlegt sichtlich und sagt: "Na, Halt - könnt ma Brösel kriegen. Lass ichs lieber liegen!" | Die Schule der Zukunft | Gestalter neuer Denkmuster
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So oder ähnlich spielt es sich in jenen Schulstunden ab, die von Lehrern gehalten werden, die ein absolut neues Lehrerbild prägen: Jenes nach dem Konzept der Provokativpädagogik von Rotraud A. Perner, bei der bewusst anders auf das Verhalten der Schüler reagiert wird, als diese es erwarten.
Die ersten Absolventen des 2008 von Perner ins Leben gerufenen Lehrgangs an der Donau-Universität Krems haben ihr Masterstudium soeben abgeschlossen. Dieser erste war genauso wie der zweite Lehrgang stark überbucht. Und auch für die dritte Runde gab es fast 100 Anmeldungen aus dem In- und Ausland - bei 27 Plätzen. Als Antwort auf die große Resonanz ist soeben der erste "Verein für Provokativpädagogik" gegründet worden, dem Oliver Kölli, Absolvent des ersten Lehrgangs und Direktor-Stellvertreter der Pädagogischen Hochschule Steiermark, vorsteht. Der Verein, der laut Kölli "unzählige Anfragen übers Internet" erhalten hat, bietet Fortbildungskurse an, die auch Eltern in der Erziehung oder Firmenchefs beim Umgang mit ihren Mitarbeitern helfen sollen. Es gibt auch ein neues Buch zu diesem Thema von Perner und Manfred Pawlik.
Und auch das Unterrichtsministerium ist auf diese neue Schiene bereits aufgesprungen. Ist doch für 14. September eine Enquete im Wiener Stadtschulrat geplant, bei der Präsidentin Susanne Brandsteidl und Unterrichtsministerin Claudia Schmied über die provokative Pädagogik in der "Schule zum Glück" referieren werden. Dabei wird das Pilotprojekt in der Volksschule von Oed in Niederösterreich vorgestellt, wo alle Lehrer provokativpädagogisch unterrichten.
Dass einmal ausschließlich nach diesem Konzept gelehrt wird, glaubt Stadtschulrats-Psychologin Mathilde Zeman allerdings nicht: "Man sollte nie in Extrema verfallen. Es bedarf eines Mixes aus traditioneller und Reformpädagogik." Die Zeit ist auch in ihren Augen reif für die Provokativpädagogik, "weil sie im richtigen Moment angewandt extrem effektiv ist."
Lehrerschaft gespalten
Dennoch stößt sie im Lehrkörper vorerst zumeist auf Skepsis, wie Kölli erklärt. "Der Name allein provoziert ja schon", meint er, "weckt aber zugleich die Neugierde." "Im Prinzip spaltet sich die Lehrerschaft in zwei Lager", meint Perner dazu, "nämlich jenes der ,Alten, die großen Wert auf Gehorsam legen und alles Emotionale für unnötig halten. Und jenes der ,Neuen, die im Gegensatz zum militärischen Modell die Klasse als kreative Gemeinschaft inszenieren. Der Lehrplan wird in beiden Fällen eingehalten - unterschiedlich ist, wie er vermittelt wird."
Gerade jetzt sei es höchste Zeit, in der Schule den Schwenk von dem aus Kriegszeiten stammenden Drill zum Gehorsam hin zur Förderung der Zusammenarbeit über die kulturellen Grenzen hinaus zu wagen. Indem sich Lehrer und Schüler nicht ein Machtspiel liefern, sondern Erstere als Coach gezielt helfen, die Welt zu entdecken.
"Die Schüler werden ja immer verhaltensauffälliger, deren Gewaltbereitschaft ist gestiegen", sagt Perner. Deren Aussage wird durch die Forschungen zur Stressbelastung von Lehrern untermauert, die vor kurzem an niederösterreichischen Pflichtschulen durchgeführt worden sind. Sie ergaben, dass zwei Drittel der Schüler als "Störenfriede" gelten - früher waren es ein bis zwei pro Klasse. "Engagierte Lehrer dürsten daher nach neuen Methoden", so Perner.
Bei der Provokativpädagogik wird dem wachsenden Aggressionspotenzial mit Humor begegnet. So fährt ein diesbezüglich ausgebildeter Lehrer, der zwei raufende Schüler entdeckt, nicht schimpfend dazwischen. "Er fragt einfach, was die zwei da machen", umreißt Perner das Verhalten. "Habt ihr einen Schiedsrichter bestellt?", könnte eine Frage des Lehrers lauten, der den Kindern das Raufen zwar erlaubt - aber nach Regeln.
Das humorvolle Thematisieren der Handlung habe eine Abnahme der Gewalt zur Folge, was von Elisabeth Dittrich bestätigt wird, die an der Dr. Theodor Körner Hauptschule 4 in St. Pölten unterrichtet. Unter anderem die von ihr hier eingeführte unverbindliche Übung "Glück", für die sie mit dem Fairness Award des Unterrichtsministeriums ausgezeichnet wurde.
Zwei Streithähnen zeichnet Dittrich eine "Friedenstreppe" aus Kreide auf den Boden. "Die zwei stehen zuerst auf der untersten Stufe und sagen, was sie stört." Bedingung sei, dass der andere zuhört. Für jeden Lösungsvorschlag darf die nächste Stufe "erklommen" werden, bis beide - auf der letzten Stufe angelangt - einander die Hand schütteln.
Zuhören als Schlüssel
Der Dialog stellt einen Kernpunkt der Provokativpädagogik dar. Damit ist vor allem gemeint, dass auch Lehrer den Schülern zuhören. "Indem sich Schüler angenommen fühlen und so nicht absichtlich Widerstand leisten, wird Wissen viel besser vermittelt", sagt Dittrich, "weil Lernen nur über Beziehung möglich ist." Die Mathematiknoten ihrer Klasse seien mit dem Schwenk zur Provokativpädagogik "in die Höhe geklettert". Heuer gebe es kein Nicht Genügend und nur zwei Genügend - früher waren es mindestens zwei Fünfer pro Klasse.
Mit diesem Trend als Rückenstärkung haben sich die Provokativpädagogen zum Ziel gesetzt, die Lehrerschaft bald durchtränkt zu haben. Den Schlüssel dazu sehen sie in der Pädagogischen Hochschule. "Indem Lehrer hier provokativpädagogisch lehren", so Kölli, "soll sich das Konzept multiplizieren."