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Ganz auf Wasser gebaut

Von Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Am Ufer des Kleinen Wannsees, an unscheinbarer Stelle, erinnert ein einfacher Steinquader an den Freitod des Dichters Heinrich von Kleist. "Nahezu ohne Mittel und innerlich so wund, dass mir, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut", so verabschiedete er sich im November 1811 von seiner Cousine Marie. Wenige Tage danach erschoss der verzweifelte Poet erst seine krebskranke Begleiterin Henriette Vogel und dann sich selbst.


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Viele traurige und lustige Lieder könnten uns die Berliner Seen singen. Sie wurden auch viel besungen. "Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein / Und dann nüscht wie raus zum Wannsee", krähte die siebenjährige Conny Froboess den Song, den ihr Vater eigentlich für die Schöneberger Sängerknaben geschrieben hatte. Oder die Moritat von der Krummen Lanke, die inzwischen zum Berliner Volkslied geworden ist ("Und dann saß ich mit der Emma uff der Banke, . . . Unter uns da lag so still die Krumme Lanke"). Wannsee und Krumme Lanke gehören zur Grunewald-Seenkette.

Daß Berlin mehr Brücken hat als Venedig, ist mittlerweile zum Gassenhauer aller Fremdenführer und Stadtbilderklärer geworden. Drei Flüsse - Havel, Spree und Dahme - treffen hier aufeinander und sind mit einem Netz von Kanälen verbunden. Mitunter weiten sich die Flüsse zu breiten, ruhigen Wasserflächen: Am bekanntesten der "Wannsee", drei Quadratkilometer groß und neun Meter tief, und der gleich tiefe, aber fast dreimal so große "Müggelsee".

Havel und Spree, die beiden Hauptflüsse, werden von zahllosen Landseen, Luchen und Fennen begleitet. Sie sind Überbleibsel der letzten Eiszeit, dem sogenannten "Weichsel-Glazial", das im Berliner Raum vor rund 16.000 Jahren endete und ein Urstromtal hinterließ. Als im 7. Jahrhundert n. Chr. slawische Stämme das Gebiet besiedelten, stießen sie auf Sümpfe und Moore. Der Name Berlin geht vermutlich auf die slawische Silbe berl (Sumpf) zurück. Bis heute ist Berlin "auf Sumpf" gebaut. Dies erklärt die Straßennamen auf "-Damm". Den Ku'-Damm kennt jeder; aber es gibt z.B. auch einen Grazer Damm und viele andere.

Reichstag, Staatsoper und viele historische Bauten stehen auf einem Wald von eingerammten Pfählen, sie würden sonst allmählich versinken. Die ersten Bauarbeiter am neuen Potsdamer Platz waren - Taucher. Sie mussten die Fundamente legen, denn die Stadt schwimmt auf einem riesigen Grundwassersee.

Zu Mauerzeiten waren die Seen das Naherholungsgebiet vieler Berliner - und sind es bis heute geblieben. Allein auf dem Wannsee liegen mehr Segelboote als im gesamten Rest der Bundesrepublik zusammen. Griebnitz-, Stölpchen-, Pohle-, Kleiner und Großer Wannsee, Nikolas- und Schlachtensee, Krumme Lanke, Grunewald-, Hundekehle-, Diana-, Königs-, Hertha-, Hubertus-, Halen-, Lietzen-, Stößen-, Pichels- und Grimnitzsee, Scharfe Lanke, Pech-, Bars- und Teufelssee - entlang dieser "Grunewaldrinne", liegen die Traumvillen der Schönen und Reichen.

Hier kann man reines Badevergnügen genießen - dafür sorgen 200.000 Analysen pro Jahr. In Wäldern und auf Wiesen, mit den Füßen im Wasser, dem Kopf im Schatten und der Seele im Himmel - und das alles ohne Ferienstau und ohne Kurtaxe.

Manche Gewässer liegen mitten im urbanen Getriebe. Der Flughafensee, wo der verträumte Blick auf startende und landende Flugzeuge fällt, oder der Plötzensee, eine "ruhige Oase" mit Autobahnanschluss. Autofahrer am Kaiserdamm!

Immer streng nach vorne sehen, damit die Nackten am Lietzensee Sie nicht ablenken!

Ihre Seen machen diese Stadt erst lebenswert!