In Österreich zeichnet sich ein deutliches Ja für Präsident Erdogans Referendum ab. Kritik wird nur verhalten geäußert.
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Wien. "Ja", "Evet", "Natürlich ja!" Ein Nein, oder Hayir auf Türkisch, hört man bei den türkischen Wählern, die am Freitagnachmittag das Wahllokal im türkischen Konsulat in Wien verlassen, nicht. "Das ist die beste Entscheidung und der richtige Weg für die Türkei", ist ein junger Mann überzeugt.
Bis kommenden Sonntag können türkische Staatsbürger noch ihre Stimme für das türkische Referendum in den Konsulaten in Bregenz, Salzburg und Wien abgeben. Konkret sollen die Wähler über Änderungen zu 18 Punkten der seit 1982 gültigen türkischen Verfassung abstimmen. Unter anderem soll die Türkei von einem parlamentarischen Regierungssystem zu einer Präsidialrepublik werden. Der Präsident, Recep Tayyip Erdogan, soll sehr weitreichende Befugnisse bekommen, die seine Macht zementieren. Das Parlament wird de facto entmachtet.
Österreich gilt schon lange als AKP-Hochburg. Bei den türkischen Parlamentswahlen 2015 haben 70 Prozent die Partei des türkischen Präsidenten gewählt. In der Türkei hat die AKP damals knapp die Mehrheit verfehlt.
"Gehen Sie bitte"
Österreichische Journalisten sind im Wahllokal keine gern gesehenen Gäste. Nachdem wir zuerst reindürfen und kurz mit den Wahlbeobachtern sprechen, müssen wieder gehen. "Bitte verlassen Sie umgehend das Konsulat", bittet ein Mitarbeiter mit bestimmter Stimme auf Türkisch.
In Österreich leben derzeit 116.000 türkische Staatsbürger. 106.000 von ihnen sind wahlberechtigt. Bisher haben laut dem Wahlbeobachter Berk Özdemir, der bei der oppositionellen Partei HDP in Österreich aktiv ist, circa 37.700 Menschen ihre Stimme abgegeben.
Dass in Österreich überdurchschnittlich viele Türken die AKP wählen, hängt mit der Zusammensetzung der hiesigen Diaspora zusammen, erklärt der Soziologe Kenan Güngör. "In Wien gibt es eine starke Dominanz an Zuwanderern aus Zentral-Anatolien. Das ist eine konservativere Wählerschicht", sagt Güngör. In anderen europäischen Städten sei das nicht so.
"Man muss die Menschen auch mobilisieren können und hier hat eine Regierungspartei viel mehr Ressourcen", meint Güngör. In den mächtigen staatlichen Medien, die auch viele Wohnzimmer in Österreich erreichen, kämen oppositionelle Kräfte und Gegner der Verfassungsreform de facto nicht vor. Zudem schaffe es die AKP sehr gut, das Auftrittsverbot für türkische Politiker in einigen EU-Ländern für sich zu nutzen und eine "Jetzt erst Recht"-Stimmung zu erzeugen.
"Ich würde mit Nein stimmen, aber ich gehe nicht hin. Wer weiß, was dann passiert", sagt Sümeye S. (Name auf Wunsch von der Redaktion geändert, Anm.). Einige Menschen in der türkischen Community sind verunsichert. "Wir müssen immer mit Repressionen rechnen", sagt Ümit Sari, Mitinitiator der oppositionellen Hayir-Plattform und Generalsekretär der "Aleviten in Österreich". Immer wieder wurden Austro-Türken bei der Einreise in die Türkei von den dortigen Behörden aufgehalten und vernommen. Manchen wurde sogar die Einreise verwehrt, die "Wiener Zeitung" berichtete.
Außerdem sind viele ob der Enthüllungen rund um Listen vermeintlicher Gülen-Anhänger und Erdogan-Kritiker, die in den Botschaften und Konsulaten kursieren sollen, besorgt. Manche Oppositionelle bezweifeln, dass die Stimmenauszählung absolut reibungslos abläuft.
"Ich höre von vielen, dass sie nicht in die Konsulate gehen wollen, weil diese nicht mehr wie neutrale staatliche Stellen gesehen werden, sondern als von der AKP vereinnahmt gelten", so Güngör. Dieses Misstrauen in staatliche Institutionen habe es bisher noch nie gegeben. Obwohl es aus Sicht des Wahlbeobachters derzeit keinen Grund dafür gäbe. "Bisher haben wir keine Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenabgabe festgestellt", erklärt Özdemir. Auch im Konsulat in Wien sind unter den Wahlbeobachtern zahlreiche Vertreter anderer Parteien.
Nicht alle meiden aus Desinteresse oder Angst die türkischen Wahlurnen in Österreich. Unter den wahlberechtigten Türken gibt es auch einige mit Doppelstaatsbürgerschaften, was nach österreichischem Recht verboten ist. Sie fürchten, dass ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt werden könnte, wenn sie zur Abstimmung gehen.