Wer weiß, dass sich Homöopathen der unterschiedlichen Richtungen oft sehr viel heftigere Auseinandersetzungen unterein-ander liefern können als mit so genannten "Schulmedizinern", konnte geradewegs das Schlimmste für das Symposium "Neue Wege der Energiemedizin" befürchten. Denn die beiden Veranstalter Wiener Akademie für Ganzheitsmedizin und Inter- | nationale Ärztegesellschaft für Energiemedizin hatten Vertreter der unterschiedlichsten Methoden eingeladen. Doch nicht Konfrontation, sondern gegenseitiger Respekt bestimmte das drei-tägige Symposium, das vor kurzem in Wien stattfand.
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Prof. Dr. Gerhard Litscher, Leiter der Biomedizinischen Abteilung an der Uni Graz, sprach am zweiten Tag über "Laserneedle Technologie - eine neue Dimension der schmerzfreien Akupunktur". Mittels modernster Computertechnologie konnte er nachweisen, dass es bei Stimulation eines der aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) bekannten Akupunkturpunkte in der wiederum von der TCM bestimmten korrespondierenden Körperregion tatsächlich zu physiologischen Änderungen kommt, beispielsweise im Blutfluss oder der Körpertemperatur. Und zwar unabhängig davon, ob der Reiz ganz traditionell mit Nadeln gesetzt wird oder, neu und schmerzfrei, mit Lasertechnologie.
Litscher erbrachte somit den wissenschaftlichen Nachweis dafür, was viele Ärzte aus praktischer Anwendung längst wissen, dass Akupunktur in der Tat wirkt. Doch eine Erklärung für dieses Phänomen musste auch er schuldig bleiben.
Der Wissenschaftler überzeugte auf dem Symposium, aber wahrscheinlich hätte er vor jeder anderen versammelten Ärztegesellschaft genauso überzeugt. Schon sein Professorentitel bürgt für Seriosität und Glaubwürdigkeit, dazu präsentierte er Daten, die den Kriterien der üblichen medizinischen Studien entsprechen und an denen nicht zu rütteln ist.
Schwerer hatte es da schon der nächste Vortragende, Artour Roukhkian, ein aus Armenien gebürtiger Biophysiker. In seinem Referat "Kirliandiagnose - neue Wege der ganzheitlichen Diagnose" konnte er sich auf keine universitären Forschungsergebnisse stützen, vielmehr nur auf eigene Erfahrungen. Roukhkian arbeitet in der Ordination eines Wiener Gynäkologen schon seit Jahren mit der Kirliandiagnose, einem von dem russischen Wissenschaftler Semjon Kirlian in den Dreißigerjahren entwickelten fotografischen Verfahren, das für sich in Anspruch nimmt, alles Leben als energetisches System abbilden zu können. Gedanklicher Hintergrund ist, dass Materie aus Schwingung besteht, und der medizinische Ansatz dieses Verfahrens besteht nun darin, anhand der gewonnenen energetischen Bilder schon früh mögliche Störfelder aufspüren zu können.
Der Kirlianeffekt
Der Biophysiker zeigte die Kirlianaufnahme eines in der Hälfte abgerissenen Baumblattes: Auf dem Foto erscheint es als eine Einheit, obwohl die tatsächlich nicht mehr gegeben ist. Erklärung: Das energetische Feld besteht aber nach wie vor. Als weiteres Beispiel präsentierte der Vortragende die Aufnahme eines Menschen, den ein gewaltiges Energiefeld, eine imposante Aura umgibt - das sei das Foto eines Wunderheilers. Für den Biophysiker ein fotografischer Beweis dafür, dass es sehr wohl Menschen mit besonderer Ausstrahlung und eben auch der Fähigkeit gibt, andere allein mit Berührung heilen zu können.
Spätestens an dieser Stelle wäre bei jedem anderen Symposium Widerspruch laut geworden. Denn die Erfahrung lehrt: Je verblüffender die Aussagen, desto größer auch das Misstrauen und die Ablehnung. Schnell kommt das Verdikt der Manipulation auf oder die Erklärungen werden schlicht ins Reich der Esoterik verwiesen. Dieses Symposium behauptete sich dagegen als ein Ort der wunderbaren Toleranz. Die Zuhörer legten hier wie genauso bei allen anderen Vorträgen jene beiden Tugenden an den Tag, Unbefangenheit und Offenheit, die auch, wie Prof. Dr. Michael Frass in seinem Vortrag ausführte, der Vater der Homöopathie, Samuel Hahnemann, dem Arzt als Richtschnur für sein Handeln empfohlen hatte.
Jeweils eine halbe Stunde Zeit hatte jeder Redner, um seine Methode vorzustellen - zu wenig, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Das mag ein Grund sein, wieso erregte Diskussionen ganz ausblieben. Ein anderer liegt sicherlich darin, dass alle Richtungen, ob Kinesiologie oder Farbfrequenztherapie, den gleichen philosophischen Überbau haben, dass sie nämlich von einer Lebensenergie im Menschen ausgehen, die die chinesische Kultur "Qi" nennt und die Aristoteles als "Lebenskraft im Menschen" bezeichnet hatte. Ist diese Energie, so das Credo der "Energiemedizin", im Fluss, so ist der Mensch gesund. Kommt es allerdings zu Stauungen oder zu einer Leere in einer bestimmten Region, so gerät der gesamte Organismus in ein Ungleichgewicht, aus dem sich Krankheiten entwickeln können, falls die Blockaden nicht rechtzeitig aufgespürt und wieder aufgelöst werden. Ihr vordringliches Einsatzgebiet sieht die Energiemedizin daher in einer regulatorischen Behandlung von chronischen Beschwerden.
Welche spezielle Methode dabei angewandt wird, sei, so wurde auf dem Symposium betont, im Grunde sekundär. Wichtiger sei vielmehr, dass der Arzt "seine" Methode beherrscht und sich auch ganz und gar mit ihr identifiziert. "Erst so kann er überhaupt die Einheit im Dialog mit dem Patienten erreichen. Für mich als Psychiaterin macht es auch nur dann Sinn, einem Patienten ein Antidepressivum herkömmlicher Art zu verschreiben, wenn ich ganz davon überzeugt bin, dass dieses Medikament ihm auch wirklich hilft", sagte Dr. Bettina Reiter.
"Bei der Energiemedizin sind wir in der Diskussionsphase, da wir oft praktische Erfolge feststellen können, aber in der Erklärung vorwiegend auf Hypothesen angewiesen sind", führte der Gründer und jetzige Ehrenpräsident der Akademie für Ganzheitsmedizin Prof. Dr.Dr. Alois Stacher in seinem Eröffnungsreferat aus.