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Ein Kapitel deutscher Atomwissenschaft ist am vergangenen Freitag in Garching bei München zu Ende gegangen: Nach fast 43 Betriebsjahren wurde dort um exakt 10.30 Uhr der Forschungsreaktor München I (FRM-I) endgültig abgeschaltet. Das "Garchinger Atom-Ei" - wie der Reaktor wegen seiner aluminiumverkleideten Betonkuppel genannt wurde - war am 31. Oktober 1957 als erste nukleare Anlage in Deutschland in Betrieb genommen worden.
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Der FRM-I, der zur Technischen Universität (TU) München gehört, galt als Inbegriff für den hohen Standard der deutschen Kernforschung. Hier wirkte von 1959 an auch der spätere Physik-Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer. Den nach ihm benannten Mößbauer-Effekt bei Gammastrahlen hatte er zwar schon zuvor am Heidelberger Max-Planck-Institut entdeckt, doch der 1961 verliehene Nobelpreis erhöhte nochmals auch das Ansehen des FRM-I.
Neben der Grundlagenforschung in der Physik, Chemie und Biologie hatte am "Garchinger Atom-Ei" (Bild unten) stets auch die anwendungsbezogene Forschung großes Gewicht - das ging von der Materialforschung bis hin zur Neutronenbehandlung bei bestimmten Krebsarten. Die Erfahrungen von Garching waren auch wichtig für die Entwicklung der "Hochfluss-Neutronenquelle" in Grenoble (Frankreich), die 1972 als Gemeinschaftsprojekt von Großbritannien, Frankreich und Deutschland in Betrieb ging.
Bei atomaren Forschungsreaktoren werden die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen genutzt. Als geistiger Vater des Atom-Eis gilt der Nestor der deutschen Neutronenphysik, Prof. Heinz Maier-Leibnitz. Um 19.45 Uhr "kam der feierliche Moment", erinnerte er sich später an die Inbetriebnahme. "Ein Blick hinunter in das Wasserbecken des Schwimmbadreaktors zeigte ein blaues Leuchten: Die erste Kettenreaktion in Deutschland hatte stattgefunden."
Der FRM-I wurde knapp ein Jahr nach Baubeginn seiner Bestimmung übergeben. Die Kosten des Projekts, das vom damaligen Bundesatomminister Franz Josef Strauß (CSU) maßgeblich unterstützt worden war, beliefen sich auf rund 6,4 Millionen Mark. In der Bevölkerung stieß das Projekt auf geteilte Reaktionen. Zu frisch waren noch die Erinnerungen an Hiroshima und Nagasaki - an die verheerenden Wirkungen der Atomkraft bei militärischer Nutzung.
"Der Garchinger Forschungsreaktor wurde zur Keimzelle für den heutigen modernen Campus der Technischen Universität München vor den Toren der Landeshauptstadt", betont TU-Präsident Wolfgang Herrmann. Aus der dörflichen Gemeinde Garching sei eine moderne Universitätsstadt geworden. In verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen arbeiten dort heute rund 4.000 Mitarbeiter.
Doch im Laufe der Jahre galt das "Garchinger Atom-Ei" zunehmend als technisch überholt und veraltet. Im August 1996 wurde deshalb in unmittelbarer Nähe mit dem Bau eines umstrittenen Nachfolgereaktors begonnen. Dieser Forschungsreaktor München II (FRM-II) soll nach den bisherigen Planungen Ende 2001 in Betrieb gehen. Die Kosten des vom Bund und von Bayern finanzierten Projekts werden von Haushaltspolitikern inzwischen auf mindestens 900 Millionen Mark (460 Mill. Euro/6,33 Mrd. Schilling) veranschlagt.
Der FRM-II ist wegen der geplanten Verwendung von hochangereichertem atomwaffentauglichen Uran als Brennstoff weltweit umstritten. Vor allem die USA sehen dadurch die internationalen Bemühungen torpediert, die weitere Verbreitung des Bombenstoffes einzudämmen. Gemäß der rot-grünen Koalitionsvereinbarung hat eine Kommission untersucht, welche Möglichkeiten für eine Umrüstung auf niedrig angereichertes Uran bestehen.
Der Bericht der Kommission liegt seit Juni 1999 vor. Mit Spannung wird erwartet, wie sich das zuständige Bundesumweltministerium im Wege der ausstehenden abschließenden Teilgenehmigung entscheiden wird.