Im Kanton Thurgau in der Schweiz wurde von der Biotechnologiefirma 2B AG erfolgreich eine Bioraffinerie entwickelt. Sie produziert aus Gras Industriealkohol und Gas - als Basis für die Stromproduktion. Als Nebenprodukte entstehen Isolationsstoffe für die Bauwirtschaft und Proteine zur Tierfütterung. Inzwischen hat auch Brasilien Interesse an dem Verfahren - als Verwertungsmöglichkeit für Zelluloseabfälle bei der Zuckerrohrproduktion.
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Entwicklungsleiter Stefan Grass steht zufrieden vor seinem eierlegenden Wollmilchschwein aus Aluminium und Halbleitern. Was er und seine Biotechnologiefirma 2B AG (Biomasse und Bioenergie) entwickelt haben, könnte zur attraktiven Einkommensquelle für die extensive Landwirtschaft werden. Und zu einem potentiellen Exportschlager, etwa nach Brasilien. Doch der Reihe nach. Anlässlich eines USA-Aufenthaltes vor acht Jahren beschäftigte sich der ETH-Agronom als Gastwissenschaftler mit Fragen der Energiegewinnung durch biologische Rohstoffe. Dort kam er auch auf die Idee, durch Fermentierung Biomasse so aufzuschliessen, dass das Spaltprodukt etwa als Energieträger verwendet werden kann.
Fermentierung ist die Umwandlung von Zellulose mit Hilfe von Mikroorganismen zu Zucker, wobei die Temperatur, der pH-Wert und der Sauerstoffbedarf des Gemisches eine Rolle spielen. Ohne Sauerstoff spielt sich ein anaerober, mit Sauerstoff aerober Prozess ab.
Lukrativ für Bauern
Eine Dampfbehandlung ist beim Verfahren der 2B AG die Voraussetzung, dass die Zellulose aufgespalten werden kann. Anschliessend werden Pilzenzyme hinzugegeben und das Spaltprodukt mit Hefe angereichert, so dass durch Vergärung Alkohol entsteht. In einer ehemaligen Mosterei beweist das junge Unternehmen nun, dass die Wertschöpfung aus dem biederen Rohstoff Gras so gross sein kann, dass sie für die Bauern ein attraktive Supplement zu ihrem Einkommen darstellt. Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) unterstützte die Entwicklung des Prototyps im Thurgau mit 40 Prozent der Produktionskosten, beziehungsweise 800.000 Franken.
Für Buwal-Technologieförderer Markus Wüest hat die namhafte Unterstützung ihre Gründe: "Wir waren nie glücklich mit der Biodiesel-Produktion - etwa durch Raps. Selbst wenn sie energetisch gemacht werden könnte, fördert man doch den Anbau von Monokulturen mit allen Konsequenzen. Etwa der Verarmung von Böden. Die 2B AG hat nun einen Weg gefunden, normales Gras als Rohstoff für die Energiegewinnung zu verwenden. Damit wird dieses Verfahren für extensiv wirtschaftende Bauern interessant. Und diese Art von Landwirtschaft entspricht der Philosophie des Buwal."
Wertschöpfungskette
Der Produktionsprozess zur Umwandlung von Gras in Alkohol dauert zirka 24 Stunden. Aus der Alkoholbrühe werden in einem ersten Schritt die Fasern ausgeschieden, dann die Proteinpaste gewonnen und schliesslich Alkohol destilliert. Alkohol ist aber nur der eine Teil der Wertschöpfungskette der Anlage von 2B. Als Produkte entstehen aus zwei weiteren Komponenten Fasermaterial und Proteine. Mit den Faserstoffen können Isolationsmatten für die Baubranche, oder Faserverbundwerkstoffe hergestellt werden. Das Protein dient als Soja-Ersatz der Futtermittelindustrie. Übrig bleibt eine ungiftige, nährstoffreiche Flüssigkeit, die auf die Felder gekippt werden kann.
Grass: "Dank der Produktion von Energie, Faserstoffen und Proteinen kann die Grasverarbeitung gewinnbringend wirtschaften." Zum Ertragskuchen steuern die Faserstoffe, Proteine sowie Biogas und Ethanol je ein Drittel bei. Das genaue Verhältnis hängt von der genauen Zusammensetzung des Rohstoffes ab. Der Faseranteil des Grases einer ungedüngten Wiese etwa ist hoch, dafür ist der Ertrag an Protein geringer.
Pro Tonne Trockensubstanz können 500 KWh Strom oder 150 bis 200 l Alkohol produziert werden, für den es in der chemischen Industrie einen Absatzmarkt gibt. Die Stadt Schaffhausen hat inzwischen das erste Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen, das Strom aus Gras produziert. Die Umwandlung von Gras in Gas ist auch dort nur in Kombination mit der Produktion eines Proteinkonzentrats und faserverstärkter Kunststoffe rentabel. Jährlich werden drei Mill. KWh produziert. Soviel verbrauchen die städtische Beleuchtung oder das Trolleybusnetz. Der Faseranteil pro Tonne Gras beläuft sich auf 400 kg, die Proteine wiegen 150 bis 200 kg. Die Proteinverfütterung ist ermutigend. Grass: "Kühe, Schweine und Hühner lieben den Grasgeschmack."
Erstes kommerzielles Projekt
Statt für das Wachstum der Fleisch- und Butterberge zu produzieren, erhalten nun die Landwirte, neben den Ausgleichszahlungen für Naturwiesen, eine zusätzliche Einkommensquelle. Rund 100 Bauern machen mit. Hermann Sieber, Geschäftsführer des Landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbandes Schaffhausen (GVS) ist stolz auf die Pioniertat, die erste derartige Bioraffinerie der Welt zu bauen. "Die Idee ist bei Bauern auf viel Wohlwollen gestossen."
Eine Rolle wird dabei das Geld gespielt haben. Für 100 Kilo Trockensubstanz sollen die Bauern zwischen 16 und 22 Franken erhalten. Der Preis hängt von der Qualität ab. Ökogras bringt am wenigsten ein. Dafür erhalten die Bauern aber über 1000 Franken Ausgleichszahlungen der Landwirtschaftskasse des Bundes. Ein Hektar bringt zwischen sieben und zwölf t Gras ein. Mit den beiden Einkommensquellen kommt ein Bauer in Schaffhausen auf einen Jahresertrag von über 3.000 Franken pro Hektar Wiesenland.
Erhaltung der Strukturen
Auf der zirka zwei Mill. Franken teuren Pilotanlage im Kanton Thurgau werden inzwischen Versuche mit den verschiedensten Rohstoffen gemacht: Gemüsereste, Rückstände aus der Bierproduktion, Hanf oder, wie für Brasilien Bagasse, das Abfallprodukt bei der Zuckerproduktion. Diese Zuckerrohr-Reste wurden bislang deponiert oder ganz einfach verbrannt. Mit dem produzierten Alkohol sollen in Brasilien Motoren angetrieben und aus den Fasern Verbundstoff-Rohre hergestellt werden.
Umweltverträglichkeit
Eine Studie über die Umweltverträglichkeit der Stromproduktion dieses Verfahrens zeigte deutlich, dass die Stromgewinnung aus Gras weniger Umweltauswirkungen hat als die sonst übliche Produktion im Strommix des Schweizer Netzes. Gegenüber dem Strom in der EU ist der Unterschied noch grösser. Für das Buwal und Wüest sind dies aber nicht die einzigen Überlegungen, die für die Bioraffinerie sprechen. "Sie ermöglicht die Erhaltung landwirtschaftlicher Strukturen, reduziert die teuren landwirtschaftlichen Überschüsse und fördert die ökologische, Bearbeitung des Bodens. Ganz im Sinne der nachhaltigen Entwicklung, welche wir mit unserer Technologieförderung unterstützen möchten."