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Gaslighting: Subtiler Psychoterror gegen Frauen

Von Sabine Ertl

Wissen

Mit der perfiden Missbrauchsmethode "Gaslighting" werden meist Frauen manipuliert und in den Wahnsinn getrieben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Schleichend beginnt der Prozess, der an eine "Gehirnwäsche" erinnert. Er endet bestenfalls nach jahrelangen seelischen Qualen. Unter "Gaslighting" versteht man eine starke Form subtilen Psychoterrors. Der Begriff selbst geht auf jenen emotionalen Missbrauch zurück, den Ingrid Bergman im Film "Das Haus der Lady Alquist" aus den 40er Jahren erleidet. Heimlich manipuliert ihr Mann die Gaszufuhr, täuscht aber vor, das Flackern des Lichtes selbst nicht zu sehen. Ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein wird so gezielt deformiert, sie glaubt schließlich, den Verstand zu verlieren. Das Thema ist seit jeher aktuell und die Dunkelziffer der Opfer groß. Da viele nicht wissen, womit sie es zu tun haben, ist therapeutische Hilfe und Aufklärung wichtig. Die Wiener Psychologin Karin Flenreiss-Frankl beschäftigt sich schon länger mit dem Phänomen. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" spricht sie über die Ernsthaftigkeit von "Gaslighting", die Folgen für die Psyche der Opfer und erklärt, wie man entkommt.

"Wiener Zeitung": Die prägnanteste Definition von Gaslighting wäre: "Es ver-rückt dich". Sehen Sie das auch so?

Karin Flenreiss-Frankl: Das ist absolut zutreffend. Schließlich geht es um die Verschiebung zweier Ebenen: der Realität und der Fantasiewelt. Was wir im eigentlichen Sinne unter "Verrückt-Werden" verstehen. Die Person weiß nicht mehr: Ist es wirklich so oder bilde ich es mir nur ein. Schließlich verliert sie komplett den Bezug zur Wirklichkeit.

Der Täter lässt sein Opfer an Dinge glauben, die nicht wahr sind.

Häufig findet "Gaslighting" in Beziehungen statt. Meistens "gaslightet" der Mann die Frau. Es beginnt durchwegs mit Kleinigkeiten: Der Frau wird vorgeworfen, nicht in der Lage zu sein, Termine richtig zu koordinieren, oder aber etwas zu erzählen, das sich in dieser Art und Weise gar nicht ereignet hat. Wiederholt wird ihr eingeredet, dass sie häufig überreagiert, sich im Leben überhaupt etwas komisch anstellt und Dinge verwechselt. Er verdreht also die Wirklichkeit bei Trivialitäten. Anfänglich wundert sich die Betroffene noch und denkt sich: "Ich achte einfach beim nächsten Mal besser darauf." Dadurch bauen sich Selbstzweifel auf und verfestigen sich zunehmend.

Man spricht von "Entwertungen im Alltag".

Nicht nur. Der Mann versucht, seine Partnerin für sich alleine zu haben. Er schaltet ihr soziales Umfeld aus. Er duldet quasi nicht mehr, dass sie eine Freundin zu Rate zieht, um sich mit ihr auszutauschen. Er behauptet zum Beispiel: "Ich glaube, deine Freundin redet schlecht über dich. Hast du nicht gesehen, wie komisch sie dich immerzu anschaut. Sie ahnt wohl, wie es um dich steht." Diese Methode ist sehr einfach und wirkungsvoll. Die Frau zieht sich spürbar zurück und wird überaus unsicher.

Es geht also um Macht?

In Paarbeziehungen geht es sehr oft um Macht. Mit dem Unterschied, dass der Gaslighter ein bösartiger Narzisst ist. Dieser kann sich nur erhaben fühlen, wenn er jemand manipuliert und runterdrückt. Entscheidend ist, dass der Stufe der Abwertung die Phase der Idealisierung vorangeht. Die Partnerin wird sprichwörtlich auf den Händen getragen und auf charmanteste Weise umgarnt. Man holt ihr den Himmel auf Erden und lässt sie glauben, dass sie etwas ganz Besonderes ist. Dann aber beginnt er langsam, aber konstant, ihre Persönlichkeit und ihr Sein in Frage zu stellen.

Stichwort: Der Täter, ein Narzisst.

Diese Menschen präsentieren sich nach außen hin stark. In Wahrheit sind sie ein kleines Häufchen Elend. Der Gaslighter benötigt permanent Bestätigung. Davon kann er nicht genug kriegen. Es ist wie ein Fass ohne Boden. Man kann das gerne mit einem Alkoholiker vergleichen, der Alkohol trinken muss, um sich gut zu fühlen.

Gaslighter sind demnach Menschen mit einer massiven Persönlichkeitsstörung.

Es handelt sich um "pathologische Narzissten", die große Lust daran empfinden, anderen zu schaden. Sie sind auf sich selbst bezogen, der Liebe nicht fähig.

Er spürt folglich gar nicht, was er seiner Partnerin antut. Schließlich leiden viele Opfer an Depressionen, denken gar an Selbstmord.

Das ist ihm einerlei. Egal ist ihm hingegen nicht, wenn er merkt, dass sich sein Opfer von ihm trennen könnte. Dann ist er wieder charmant, um seiner Partnerin glauben zu lassen: "Der hat sich aber geändert."

Ein Irrglaube . . .

Leider. Mehr Liebe und Verständnis bringen gar nichts. Es stärkt ihn nur, da er auch gerne als Helfer in der Not agiert. Im Sinne von: "Ich bin für dich da, um dir zu helfen." Denn: "Du bist so unfähig, so verrückt, nur ich kann dich retten."

Das Opfer wähnt sich beschützt.

Tatsächlich ist es aber einem Psychoterror ausgeliefert. Es hat das intuitive Bauchgefühl vom Anfang der Beziehung vollends verloren und wird von einem "übermächtig" scheinenden Partner beherrscht. Leider wurden viele Frauen von ihrer Erziehung her in diese Richtung konditioniert: "Du musst dich anpassen", "Du bist eher schwach und nur Männer sind stark". Viele glauben, dass eine solche Beziehung sogar nützlich ist.

Wer ist besonders gefährdet, in die Fänge eines Gaslighters zu tappen?

Frauen, die an sich selbst zweifeln, einen geringen Selbstwert haben und glauben, dass sie definitiv jemanden brauchen, der stark ist. Ein fataler Trugschluss.

Können Sie aus Ihrer therapeutischen Praxis berichten?

Ich weiß, dass es eine ausgesprochen hohe Dunkelziffer von Frauen gibt, die gar nicht wissen, was mit ihnen passiert. An schwerwiegenden Fällen betreue ich im Moment eine Handvoll. Wie auch eine Frau, die vor drei Jahren das erste Mal zur Therapie kam. Sie litt extrem in ihrer Beziehung, war aber auch Mutter eines Kindes und schaffte es damals nicht, zu gehen. Sie erlebte das klassische Abwertungsprogramm: Grundlose Kritik und Hinterfragt-Werden und folglich massive Selbstzweifel und Unsicherheit. Sie blieb aber und entschied sich erst vor einem halben Jahr, zu gehen. Entscheidend war der unerträgliche Leidensdruck.

Ein typischer Fall?

Sicher. Sie ist aber noch immer in Therapie und kämpft mit ihren Selbstzweifeln, was die Kindererziehung betrifft. Ihr wurde ständig eingetrichtert: "Du hast das falsch gemacht, du kannst das nicht und das auch nicht."

Es gibt auch Frauen, die diesen emotionalen Missbrauch ertragen.

Das liegt daran, dass die gewohnte Situation die sichere Situation ist. Besonders dann, wenn Kinder da sind oder eine finanzielle Abhängigkeit besteht.

Welche Ratschläge geben Sie?

Alles aufschreiben, ein Protokoll oder ein Tagebuch führen. Das ist etwas, das ich empfehle! So kann man überprüfen, wer falschliegt, und durchschaut möglicherweise die Manipulation.

Aber es bleibt nur die Flucht.

Ja. Auch wenn sich das Opfer denkt, ich kann eigentlich gar nichts, ohne zu scheitern. Doch in der Therapie lernt man, dass es doch irgendwie geht. Eine Frau hat mir erzählt, dass sie nicht gehen kann, da es ihr unmöglich ist, eine Glühbirne zu wechseln. Ich sagte ihr, dass man dafür keinen Mann braucht, sondern, wenn überhaupt, einen Elektriker. Es werden einfach Dinge vorgeschoben, warum ein Schlussstrich unmöglich ist. Bereut hat es noch niemand. Im Gegenteil. Viele erzählen: "Es geht mir ausgesprochen gut. Er hat jetzt eine Neue und ich habe meine Ruhe."