Zum Hauptinhalt springen

Gasstreit mit Kiew - Putin pokerte hoch

Von Ines Scholz

Politik

Konflikt ist laut EU-Diplomaten beigelegt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel/Kiew/Moskau. Monatelang hatten sie um einen Kompromiss gefeilscht. Nun gab es am Donnerstag offenbar noch rechtzeitig vor dem Kälteeinbruch eine Einigung im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland - unter Vermittlung des deutschen EU-Energiekommissars Günther Oettinger. Aus EU-Kreisen verlautete jedenfalls, dass der Streit beigelegt sei. Das wurde von der russischen Presseagentur Itar Tass bestätigt.

In Brüssel hatte sich in die zähen Marathonverhandlungen, die am Donnerstag Abend andauerten, zuletzt der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso persönlich eingeschaltet. Oettingers Nachfolger, der Spanier Miguel Arias Canete, hätte sich in die Materie erst einarbeiten müssen - angesichts des nahenden Winters ein Risiko nicht zuletzt auch für Europas Gasversorgung.

Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russisches Gas. Ein Drittel ihres Bedarfsdeckt die EU aus Russland, 50 Prozent davon fließen durch die Ukraine. Bisher hat Kiew seine Verträge eingehalten und die Energie durchgeleitet. Doch weil Moskau dem von der Pleite bedrohten Land selbst wegen offener Schulden seit Juni kein Gas mehr liefert, geht in Europa die Angst um, dass die Ukraine die Energie für den Eigenbedarf abzweigen könnte. Das Szenario kennt man aus dem Jahr 2009: Damals hatte Wladimir Putin auf den "Gas-Klau"im Zuge des Energiestreits mit Kiew hin schon einmal den Gashahn zugedreht.

Putin pokerte auch diesmal hoch: Als Bedingung für die Wiederaufnahme von Gaslieferungen an Kiew verlangte der Kremlchef, dass die pro-westliche Regierung ihre bisherigen Gas-Schulden gegenüber Gazprom begleicht und künftige Lieferungen per Vorkasse bezahlt. Da die Ukraine kein Geld hat, soll die EU einspringen, lautete Moskaus Kalkül. Mit ihr hat der Kremlführer wegen der Ukraine-Politik und den russischen Sanktionen ohnehin noch eine Rechnung offen. Die EU habe sich bereit erklärt, für die ukrainischen Gasschulden zu bürgen, verkündete der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk. Bestätigen wollte das Brüssel zunächst nicht. Am Abend schien es dann einen Durchbruch bei den Verhandlungen gegeben zu haben.

Allein die Ausstände Kiews bei Gazprom beziffert Moskau mit 5,3 Milliarden Dollar. Dazu will Putin 1,6 Milliarden Dollar als Vorauszahlung für die Monate November und Dezember. Kolportiert wurde zuletzt ein Kompromissangebot, wonach Moskau bis Ende des Jahres eine Rückzahlung von 3,1 Milliarden Dollar akzeptiert.

Die Ukraine sei bereit, 1,45 Milliarden Dollar sofort auf den Tisch zu legen und weitere 1,65 Milliarden bis Jahresende, erklärte der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk in Brüssel. Man sei auch bereit, die restlichen Ausstände zu begleichen.

Die EU wird die Schulden finanzieren müssen, war Russland-Experte Gerhard Mangott überzeugt:Mit der Übernahme einer Finanzgarantie sei es nicht getan. "Die Ukraine wird nach jetzigen Stand erst im Jänner die nächste IWF-Kredittranche ausbezahlt bekommen. Doch so lange will Russland nicht warten. Die EU muss deshalb einen Überbrückungskredit geben. Für die EU ist das sehr unangenehm. Sie wollte das eigentlich vermeiden", sagt der Politologe zur "Wiener Zeitung". Zumal die EU den Kredit wohl lange nicht zurückbezahlt bekommen werde. Die nächste Kredittranche des IWF werde von der Ukraine selbst dringend benötigt, ist der Politikwissenschafter der Universität Innsbruck überzeugt. "Die EU hat sich diesen Mühlstein aufgeladen. Jetzt muss sie ihn auch tragen."

Mit dem Gasstreit hat Wladimir Putin jedenfalls einmal mehr seine politische Macht demonstriert. Eine Destabilisierung steht für ihn nicht auf dem Programm. Das zeigt auch das jüngste russische Militärmanöver ohne jegliche Ankündigung, bei dem eine auffällig hohe Zahl russischer Kampfjets an der Grenze zu den baltischen EU-Staaten zu sehen war. Die Nato protestierte inzwischen.