150 Studenten an zwölf Universitäten. | Unterricht mit Videoschaltung über das Internet. | NewYork. In der Lewisohn Hall ist es noch zeitig in der Früh. Aber für Lee Yee Cheong bricht bereits die Nacht herein. Der pensionierte Ingenieur beobachtet die amerikanischen Studenten, wie sie einer nach dem anderen schlaftrunken ins Klassenzimmer taumeln. Ausgerüstet mit Kaffee in Plastikbechern und Tee in Thermoskannen setzen sie sich an die Tische. Lee Yee Cheong lächelt ihnen zu. Dabei sitzt er 14.000 Kilometer weiter östlich in einem Konferenzraum der Universität von Malaya in Malaysia.
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Es sind die letzten Minuten, bevor an der New Yorker Columbia Universität das dienstägliche Lehrexperiment beginnt. Jeffrey Sachs, Ökonom von Weltruf und wirtschaftlicher Berater von Regierungen zahlreicher Staaten, hat das Projekt ins Leben gerufen. Mehr als 150 Studenten an zwölf Universitäten auf allen Erdteilen unterrichtet Sachs seit Anfang Februar simultan. Um dies zu ermöglichen, setzt Sachs auf die neuesten Technologien zur Übertragung von Videokonferenzen und ein universitäres Content Management System.
Letzte Woche war Lee Yee an der Reihe, sein Wissen zu teilen. Thema der Vorlesung des Wissenschafters, der wie Sachs für das Uno-Millenniumprojekt arbeitet: Technik und Ingenieurwesen in Entwicklungsländern.
Malaysischer Experte steht Rede und Antwort
Kurz vor 8 Uhr testete Sachs noch einmal die Ausrüstung. "Kann mich jeder hören?", fragte er über die Interkom, "Vergessen Sie nicht: Wenn Sie nicht sprechen, pressen Sie die Mute-Taste." Dann stellt Sachs den Malaysier im schwarzen Hemd mit dem goldenen Drachen-Aufdruck vor: "Er ist der Experte für technologische Entwicklungshilfe, er hat eine maßgebliche Rolle bei der Verbreitung von Informationstechnologien in armen Ländern gespielt."
In Vorbereitung für die Klasse hat der Ingenieur, ein Fürsprecher für eine technische Grundschulung bereits ab dem Volksschulalter, einen eineinviertelstündigen Vortrag gehalten, der auf Video aufgezeichnet wurde. Zur Hausübung bereiteten die Studenten Fragen für Lee Yee vor.
Auf zwölf Bildern auf dem Monitor erscheinen nun die Klassenräume von Universitäten in China, Ecuador, Äthiopien, Frankreich, Indien, Malaysia, Nigeria, Singapur, England und den USA. Die Bewegungen auf dem Bildschirm sind dabei ruckartig. 30 Minuten lang steht der Malaysier den Studenten Rede und Antwort. Sachs schaltet sich immer wieder ein, wenn eine Frage oder ein Kommentar wegen des Akzentes oder des Abstraktionsgrades der Frage besonders schwer verständlich ist.
Die Videokonferenzen - sie werden über das Programm Adobe Connect abgewickelt - sind nur ein Teil der Kommunikation. Mit Hilfe eines Content-Management Systems werden Lehrpläne und Terminänderungen veröffentlicht, Lehrmaterial zur Verfügung gestellt sowie Kommentare und Fragen der Studenten zusammengefasst.
"Natürlich gab es Anlaufschwierigkeiten", sagt Columbia Techniker Rob Garfield, "aber die meisten waren weniger technischer, sondern mehr operativer Natur. Etwa, dass alle zum selben Zeitpunkt online sind oder die Videokameras eingeschaltet haben."
Nur der Anfang einer Entwicklung
Die Idee für das Projekt entstand im März des vergangenen Jahres. "Ich liebe einfach diese Technik", sagt Sachs zur "Wiener Zeitung", "ich verwende sie ja selber dauernd". Der Wissenschafter ist überzeugt, dass das Projekt nur den Anfang einer Entwicklung markiert: "In ein paar Jahren werden Videokonferenzen zur Standardausstattung in jedem Klassenzimmer gehören." Es sei dies - meint Sachs - eine großartige Chance, das Miteinander unter den Ländern zu fördern. Die Wissenschaft habe die Möglichkeit, sich über ideologische Grenzen hinweg auszutauschen. "Ebenso wichtig ist die Kommunikation der Entwicklungsländer untereinander - es gibt viele technische Lösungen, die passen für den Westen, nicht, aber für arme Länder in Südamerika oder Afrika. Ein Techniker aus Indien hat für Nigeria oft zweckmäßigere Lösungen parat als einer aus den USA."
Die Studenten sind vom Unterricht angetan, auch wenn sie die morgendliche Stunde nicht besonders schätzen. "Es ist eine hervorragende Klasse", sagt etwa Dominik Zotti, ein Wiener, der an der Columbia internationale Politik studiert. "Du lernst die unterschiedlichen Gesichtspunkte kennen und bekommst eine Chance, dich mit den besten Lehrern auf der Welt auszutauschen." Nur mit dem Unterrichtsstoff ist Zotti nicht hundertprozentig einverstanden. Die Klasse ist als Einführung in Nachhaltige Entwicklung gedacht, jede Woche gibt es ein völlig neues Thema. "Dadurch wird die Behandlung eines Sachgebietes manchmal ein bisschen seicht", meint Zotti.
Nach einer Stunde ist die globale Diskussion auch schon wieder vorüber. "Im Namen der Studenten bedanke ich mich bei unserem Gastredner. Applaus, Applaus. Wir sehen uns wieder nächste Woche", sagt Sachs und schaltet die Intercom aus. Er ist schon wieder am Sprung zum nächsten Termin.