Europa braucht bei der Energieversorgung weniger Abhängigkeit von Drittstaaten und mehr erneuerbare Ressourcen.
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Bei all den Herausforderungen, denen Europa aktuell gegenübersteht, müssen wir aufpassen, dass uns nicht die Energie ausgeht - im wahrsten Sinn des Wortes. Die Zeiten, in denen es schien, als könnten wir unseren Planeten unbegrenzt anzapfen, ohne uns über die Folgen Gedanken machen zu müssen, sind vorbei. Heute brauchen wir eine verantwortungsbewusste Klimapolitik ebenso wie saubere, sichere, leistbare Energie: durch den Ausstieg aus fossilen Energieträgern und eine Diversifizierung der Energiequellen.
Woher kommt Europas Energie eigentlich? Im Jahr 2021 stammte der Energiemix in der EU hauptsächlich aus fünf verschiedenen Quellen: Erdöl und Erdölprodukten (34 Prozent), Erdgas (23 Prozent), erneuerbaren Energien (17 Prozent), Kernkraft (13 Prozent) und festen fossilen Brennstoffen (12 Prozent). Dabei wurde die Hälfte der verfügbaren Energie innerhalb der EU produziert, mehrheitlich wurde sie jedoch zu uns importiert. Das zeigt - insbesondere auch angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine -, in welche Richtung es gehen muss: weniger Abhängigkeit von Drittstaaten und mehr erneuerbare Ressourcen. Das bedeutet nicht, wie von manchen befürchtet, Einschränkung und Verzicht, sondern vielmehr neue Chancen für Jobs und Investitionen und ein global wettbewerbsfähiges, innovatives Europa.
Mehr als 300 Milliarden Euro für den grünen Wandel
Eine solche Transformation geschieht nicht von heute auf morgen. Wir müssen eher in Generationen denken als lediglich bis zur nächsten Wahl. Die gute Nachricht: Die EU nimmt die Notwendigkeit des grünen Wandels ernst und setzt konkrete Schritte: Im Rahmen des mehr als 300 Milliarden Euro schweren Instruments "REPowerEU" investiert sie in den gemeinsamen Erwerb von Flüssigerdgas, diversifiziert ihr Netz an Gasimportländern und trifft Vorkehrungen zur nachhaltigen Sicherung der Versorgung mit erneuerbarem Wasserstoff.
Die EU-Energieplattform trägt dazu bei, EU-Maßnahmen und Verhandlungen mit externen Gaslieferanten zu koordinieren, um zu verhindern, dass die EU-Länder einander gegenseitig überbieten. Erst kürzlich ist es der EU gelungen, Angebote von 25 Versorgungsunternehmen für ein Volumen von mehr als 13,4 Milliarden Kubikmeter Gas einzuholen. Dies geht bei weitem über die gemeinsame Nachfrage von 11,6 Milliarden Kubikmetern hinaus, die von Unternehmen in der EU angemeldet wurde. Durch das gemeinsame Gewicht des EU-Binnenmarkts war es also möglich, bessere Bedingungen für die Verbraucher herauszuholen. EU-Unternehmen können auf dieser Basis ihre Lieferverträge direkt mit den Lieferunternehmen aushandeln.
Die EU hat sich verpflichtet, bis 2030 den Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch auf 42,5 Prozent zu steigern, angestrebt werden sogar 45 Prozent. Voriges Jahr wurde EU-weit erstmals mehr Strom aus Wind- und Sonnenkraft als aus Gas erzeugt. Heuer sollen weitere 12 Milliarden Kubikmeter Gas durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Damit das gelingt, sind nicht nur Investitionen und rasche Genehmigungen erforderlich, sondern es braucht auch eine Nachadjustierung unseres Wertekompasses. Vielerorts werden Windräder als unästhetisch empfunden. Dass die österreichischen Gasimporte aus Russland nach wie vor sehr hoch sind - im Jahr 2022 betrug der russische Anteil 57 Prozent - und helfen, Wladimir Putins barbarischen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren, stört vergleichsweise wenige.
Nicht nur grün, sondern auch für alle erschwinglich
EU-weit ist die Abhängigkeit von russischem Gas bereits deutlich gesunken. Stammten im Herbst 2021 noch 41 Prozent der EU-Einfuhren von Pipeline-Gas aus Russland, beträgt der Anteil seit September 2022 gerade einmal 8 Prozent. Geholfen hat auch das Energiesparen: Die EU-Länder hatten vereinbart, ihren Gasverbrauch um mindestens 15 Prozent zu senken. Erreicht wurden schließlich minus 18 Prozent, woran zu erkennen ist, was bei gemeinsamer Anstrengung und gutem Willen möglich ist. So waren auch Ende des Vorjahres die EU-Gasspeicher zu 95 Prozent gefüllt.
Bei all dem muss gewährleistet sein, dass unsere Energie nicht nur grün, sondern auch für alle erschwinglich ist. Daher haben sich die EU-Mitgliedstaaten etwa dazu entschlossen, einen befristeten Gaspreisdeckel einzusetzen, der greift, wenn die Preise ein allzu hohes Niveau erreichen. Zudem soll Sorge getragen werden, dass sich Preisschwankungen bei fossilen Energieträgern geringer auf die Stromrechnungen der Haushalte auswirken und Verbraucher künftig mehr Flexibilität bei der Auswahl ihrer Stromversorger erhalten.
Dennoch bleibt noch viel zu tun: Europas Energie der Zukunft wird überwiegend Strom sein. Für die europäische Industrie muss der Umstieg auf Elektrifizierung und CO2-freie Produktion erleichtert werden - durch Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und unbürokratischen Zugang zu Fördermitteln, wie es der aktuelle "Green Deal"-Industrieplan vorsieht. Weiter sind die EU-Mitgliedstaaten selbst für ihren nationalen Energiemix zuständig. Das bedeutet, auch wenn es hierzulande nicht populär ist, dass die Atomenergie in manchen Ländern noch auf absehbare Zeit eine unverzichtbare Energiequelle darstellen wird.
Zudem muss auch die Energieeffizienz entschlossener angegangen werden - schließlich sollen hier bis 2030 EU-weit 11,7 Prozent eingespart werden. Dass es in Österreichs Parlament nicht gelungen ist, hierzu verpflichtende Vorgaben für die Bundesländer zu beschließen, sollte möglichst bald behoben werden. Auch, dass bis 2040 sämtliche bestehenden Gebäude auf erneuerbare Energieträger oder Fernwärme umgestellt werden müssen, bedeutet noch einen gehörigen Umsetzungs- und Überzeugungsaufwand. Oberösterreich etwa ist zu 70 Prozent von Energieimporten abhängig - als ausgesprochenes Industrieland sollte es die Chancen nutzen, die sich aus der Energietransformation in Europa ergeben.
Bei aller Ambition steht uns noch ein weiter Weg bevor, um unsere Energiepolitik auf die Bedürfnisse der Industrie, der Verbraucher und letztlich des Klimas abzustimmen. Hier ist es wie bei einer Bergwanderung: Das Ziel erreicht man mit Konsequenz und Ausdauer.
Martin Selmayr und Paul Schmidt absolvieren eine EU-Gipfeltour in allen Bundesländern, um über Europa ins Gespräch zu kommen. Am 20. Juni diskutieren sie gemeinsam mit Expertinnen und Experten bei einer Wanderung Feuerkogel in Oberösterreich das Thema "EU-Energiepolitik: Was braucht Europas Industrie, was brauchen die Verbraucher, was braucht unser Klima?". Interessierte sind dazu herzlich eingeladen. Treffpunkt ist um 10.15 Uhr bei der Talstation Feuerkogel der Seilbahn Ebensee. Genauere Infos zu Treffpunkt und Anmeldung finden Sie hier.